Der erste Eindruck ist duster, nicht unangenehm, nicht düster. Um den Besucher herum dunkle Wände voller überdimensionierter Motive – Max Klingers fabelhaftes Traumland schmückt die Ausstellungshalle des Bundes in Bonn. Ich denke, dem Künstler (1857-1920) hätte das gefallen. Fast pathetisch ist die Inszenierung und die Dramaturgie der gerade eröffneten Schau „Max Klinger und das Kunstwerk der Zukunft“, fast theatral aufgeladen die Laufwege zwischen Skulpturen, Bildern und Dokumentarischem, die auf eine zentrale Bildhauerarbeit zusteuern: Max Klingers Beethoven von 1902.Das monumentale, zusammengesetzte Objekt aus Marmor und Bronze mit Glas-, Metall- und Elfenbeineinlagen ist perfekt ausgeleuchtet;auf der Rückseite des Steins findet sich ein Frauenakt beim Baden.Der marmorweiße Körper des Komponisten wird nur geschickt von einem Tuch bedeckt, die Faust energisch auf dem Knie. Kommt der Meister etwa gerade vom See hinter ihm oder ist es wirklich nur Abbild der Verletzlichkeit des menschlichen Körpers, der dennoch in der Lage ist, einen solch großen Geist zu beherbergen?
Über 200 Werke aus allen Schaffensbereichen sind in der Ausstellung zu sehen, Musikbezüge geben Atmosphäre.Schon zur Hochzeit des Belle Époque war der Künstler umstritten, zu viel weibliches und männliches Frischfleisch auf den Gemälden und Zeichnungen, zu vielAntiken-Rezeption, obwohl die gerade in war. Dennoch wurde sein großformatiger nackter Jesusin „Die Kreuzigung Christi“ (Öl auf Leinwand,251x465cm, 1890) damals zum Eklat, die Unbekleidetheit seiner Protagonisten für Klinger zur Haltung für seine Suche nach dem Kunstwerk der Zukunft. Die sogenannte Bohème und das damalige Frauenbild taten ihr Übriges. Badende, sich im Wasser spiegelnd (1896/97) oder die nachdenkliche offenherzige Kassandra (1892/93), das wurde damals kein Skandal. Künstler, die ihre Modelle verführten, konnten eben auch Erotik.Der Sohn eines Seifensieders und Namensgeber eines Asteroiden (22369, 1993) hatte sich jahrelangintensiv mit der Technik der Aquatinta-Radierung (Kupfertiefdruck durch unterschiedliche Ätzstufen) beschäftigt, zu sehen in der Serie „Radierte Skizzen“, auch um seine Vorzeichnungen so vervielfältigen zu können. Klinger war auch geschickter Geschäftsmann und Anhänger der eigenen Karriere.
Max Klinger und das Kunstwerk der Zukunft | bis 31.1. [im November geschlossen] | Bundeskunsthalle, Bonn | 0228 917 12 00
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