Authentische Liebeserklärungen gibt es nicht. Überall, wo Putten ihre Girlanden um amouröse Metaphern winden, hat das mentale Copy and Paste schon seinen Dienst getan. Die Vorbilder aus Filmen, Büchern, Kunstwerken haben sich tief in unsere Liebes-DNA eingebrannt – wie überhaupt die Liebesheirat bekanntlich eine rein literarische Erfindung ist. Futur3 macht sich das in „Soft Core – Ein Liebesfilmtheater“ zunutze und dekonstruiert nach Herzenslust, was uns an unseren filmischen Vorbildern anrührt. Nach einem kleinen Geständnisintro, bei dem die Akteure des inklusiven Ensembles erste Kinoerlebnisse preisgeben, geht es ans dekonstruktiv Eingemachte: Zwei Darsteller spielen die Geständnisszene aus „Breaking the Waves“ nach, während mehrere Kollegen die Szene filmen und eine Crew an den Mischpulten bestimmt, was auf der Leinwand über der Szene erscheint. Film, Theater und unserer Erinnerung an die „originalen“ Filmbilder mischen sich mit eigenen Erfahrungen. Das kann so brutal sein wie in Lars von Triers Film, das kann berührend sein wie in einer Liebesszene zwischen einer älteren Frau und einem jungen „Gastarbeiter“ aus Fassbinders „Angst essen Seele auf“, das kann komisch sein wie eine nachgestellte Tarzan-Szene.
Zu wunderbar absurder wie erhellender Komik steigern sich die beiden fingierten Interviews mit den Intellektuellen Niklas Luhmann und Slavoj Žižek. Dann wieder wird vorgedrehtes Material wie ein kleiner Softporno oder eine Fluchtszene auf dem Großmarkt-Gelände dazwischen geschnitten. Die Liebe erscheint dabei in diversen Spielarten: von der schamhaften ersten Liebeserklärung über Telefonsex, beißende Eifersuchtsszenen, bösartige Demütigungen bis zu Sadomaso-Szenen. Die Vorbilder stammen aus Filmen von „Tarzan“ bis zur Serie „Girls“, von King Vidor bis Alex Garland. Während die inklusive Besetzung fast unmerklich funktioniert, bewirken die Crossgenderbesetzungen eher das Gegenteil: Die weibliche Besetzung der beiden Cowboys aus „Brokeback Mountain“ nimmt dem Film letztlich alles Sprengende. Ein unterhaltsamer, reflexiver Abend, bei dem der Apfel der Erkenntnis – den man beim Einlass geschenkt bekommt – aber letztlich nicht wirklich sättigend ist.
„Soft Core – Ein Liebesfilmtheater“ | R: André Erlen | keine weiteren Vorstellungen | Großmarkthalle
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