Der Laufsteg ist kein Ort für Melancholiker. Fast vierzig Meter lang ist der aufgeständerte Catwalk, den Thomas Dreissigacker für das Depot 1 entworfen hat. Eine kahle Planche, rechts und links jeweils durch ein weißes Sofa und einen Kleiderständer eingegrenzt, auf der Eitelkeiten genauso zur Schau getragen wie ökonomische Konkurrenz ausgefochten werden können. Venedig war zu Shakespeares Zeiten schließlich das, was London heute ist: multikulturell und Ort des Big Business. Und hier tummelt sich, was sich für wichtig hält. Der ganz in weiß gekleidete Bassiano (Simon Kirsch) mit Stulpenhandschuhen, der mal wieder Pleite ist und die Chance in einer Ehe mit der so schönen wie reichen Portia sieht. Oder der bullige Haudrauf Lorenzo (Jakob Leo Stark) samt dem blassen Mitläufer Gratiano (Yuri Englert). Eine hedonistische Bande zwischen bürgerlichem Standesbewusstsein und billiger Hochstapelei, für die die Liebe immer auch einen realen Tauschwert besitzt, sprich ein Geschäft ist. Und dazwischen ein Mann, zu düster gekleidet in seinem schwarzen Outfit, aber auch zu schick mit seinem Pelzbesatz am Mantel. Melancholisch hockt der homosexuelle Antonio (Gerrit Jansen) am Bühnenrand, pflegt die Tristesse seiner nicht erwiderten Liebe zu Bassanio, mit dem er erst am Ende einen gierigen Kuss tauschen darf. Wie Shylock ein Außenseiter, dem allerdings bei der Begegnung mit dem Juden wilder antisemitischer Hass entquillt und der idiosynkratisch zurückzuckt bei der Berührung.
Stefan Bachmann inszeniert Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ (Übersetzung: Klaus Reichart) und hält sich mit solch düsteren Moment allerdings nur kurz auf. Der Kölner Intendant nimmt die Genrebezeichnung „Komödie“ beim Wort und dreht den schwierigen Stoff um Antonios Bürgschaft für einen Kredit Bassanios bei Shylock, der bei Zahlungsausfall ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper verlangt, durch den humorigen Fleischwolf. Da werden Solanio und Salerio zum absurd krächzenden Zwillingspaar im Seventieslook getrimmt; die Portia der Yvon Jansen in goldpailletierten Bolerojäckchen und Tutu schleudert ihre diamantharten Bonmots kokett heraus und inszeniert die Kästchenwahl, also ihr Ehegattendefilee als Auftritt dreier nackter Statistinnen mit Karnevalsmaske; die Entführung von Shylocks Tochter Jessica (Julia Riedler, absurderweise zur Flucht in Nazi-Uniform verkleidet) wird zur Lachnummer, bei der sich Lorenzo und Konsorten als orthodoxe Juden verkleiden und das Opfer ihrer Begierde wie Grillfleisch zwischen die Beine einer Leiter klemmen. Und immer wieder Musik: Shakespeares Sonette sind zu trivialen Popsongs gemodelt (Musik: Sven Kaiser, Philipp Plessmann), an Klavier, Schlagzeug, Geige, Marimbaphon tuen sich die Schauspieler im Wechsel hervor. Jeder hat hier seinen Einsatz, die Stimmung könnte ausgelassener nicht sein. Und allmählich verschwindet so die Tragödie im Strudel des Komödiantischen. Was als Nebeneinander der Gegensätze gedacht war, als Fallhöhe zwischen Antisemitismus und Amüsement, verkümmert zur Nummernfolge. Das ist umso unverständlicher, als Bruno Cathomas dem Shylock so überzeugend Gestalt gibt. Düster auch er im langen schwarzen Mantel und mit Hut, leicht jiddelnd, mit massiger Präsenz, so beiläufig er Pistazien knabbert, so brutal schleift er seine Tochter an den Haaren ins Haus. Bewegend, wie er sein Plädoyer für Gleichheit zwischen Juden und Christen ganz zart in Publikum spricht, um dann in einen hasserfüllten „Rache“-Ruf zu münden. Diese Spiegelbildlichkeit mit Antonio ist allerdings eher in der Charaktersymmetrie, als der Figur selbst begründet. Der Gerichtsprozess der beiden Außenseiter findet dann auf der Vorbühne statt. Zusammenbrüche Antonios werden begleitet von Shylocks Metzgeranmutung in Gummischürze – ein bisschen Trash-Androhung, bevor dann Portia im Businesssuit des Rechtsgelehrten alle Register der Kasuistik zieht. Dass Bachmann am Ende den humorigen fünften Akt um den Verlobungsring von Bassanio und Portia breit ausspielt, bestätigt dann das Fazit: Außer Komödie wenig gewesen.
„Der Kaufmann von Venedig“ | R: Stefan Bachmann | 6., 9., 23., 26., 27.3. 19.30 Uhr | Schauspiel Köln |0221 221284 00
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