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Traute Verlogenheit

11. November 2019

Schmierenkomödie „Alle unter eine Tanne“ im Theater am Dom – Bühne 11/19

Die vier Wochen, die Theaterchef Oliver Durek den Regisseur Urs Schleiff für das neues Theaterstück „Alle unter eine Tanne“ hat proben lassen, waren sehr sinnvoll investiert. Denn hier hat sich ein Ensemble neu zusammengefunden zu einer „echten Premiere“, was – im Gegensatz zu den sonst aufgeführten Stücken, die in identischer Besetzung bereits länger anderweitig gelaufen waren – an der Begeisterung der Akteure, am Spielwitz, am prickelndem Einsatz sehr erfreulich zu spüren war. Der Regisseur, der als etwas tölpeliger „Heiner“ auch selbst mitgespielt hat und im Stück kaum zu Wort kommt, und dem seine dominierende Ehefrau vor dem Essen prompt ein Lätzchen umbindet, hat mit seiner frischen, perfekt getimten Inszenierung, temporeich und mit viel Wortwitz und feinen szenischen Gags versehen dem Premierenpublikum einen äußerst vergnüglichen Theaterabend geschenkt. Kein Wunder bei diesem Plot.

Paartherapeutin Elli (Claudia Wenzel, „In aller Freundschaft“) und der Arzt Robert (Rüdiger Joswig, „Die Küstenwache“) – mit Rückenproblemen und nächtlichem Harndrang – sind seit drei Jahren geschieden, haben sich aber bisher nicht getraut, es ihren drei erwachsenen Kindern zu beichten. Passend zu dem schönen Witz, wo der Scheidungsrichter das greise Ehepaar frägt, warum sie denn erst jetzt kämen, und erstaunt erfährt: „Wir wollten warten, bis die Kinder gestorben sind.“ Also feiert man erneut Weihnachten als Show der Familienidylle, als routinierte Farce, mit Selfiestange vor dem Baum. Nicht aber mit den neuen Partnern, die sich jedoch uneingeladen ebenfalls eingenistet haben, aber nun rebellieren: Micha (Armin Riahi), der sehr junge Freund von Elli und gleichzeitig ihr Motorrad-Fahrlehrer, will nicht bei Familienfeiern wie ein Wischmopp im Abstellraum warten, während die „Neue“ von Robert seine eigene junge Praxismitarbeiterin ist. Und sich gegenseitig „Bikerflittchen“ und „Sprechstundenhengst“ um die Ohren zu schmeißen, das klingt nicht gerade freundlich.


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Vor den auch wenig erfolgreichen Kindern – das Nesthäkchen Leonie (Monika Reithofer) ist schwanger, ohne zu wissen, wer der Vater ist, Sohn Tobias (Frank Habatsch) ist erfolgloser schwuler Komponist von Werbemusik und die Vorzeigetochter Susanna (Johanna Paliatsou) ist mit ihrem Autohaus und dem gepäckschleppenden Ehemann Heiner pleite – versucht Elli die beiden ungebetenen Gäste als ein befreundetes Pärchen vorzustellen, die sich auch prompt noch verloben sollen. Denn Chrissi (Daniela Wutte) dringt darauf, alles offenzulegen – die Emotionen kochen hoch, das Chaos bahnt sich seinen Weg, inklusive Verlobungsring. Der mühsam zusammengestückelte elektrische Weihnachtsbaum – mit mehr Lüsterklemmen als Birnchen – fängt per Kurzschluss zu brennen an und steht als Mahnmal der Lüge, bis sich alle Paare und die Kids nach und nach wutentbrannt verdrücken. Und das, obwohl noch nicht alles aufgegessen ist.

Natürlich geht alles relativ gut aus, Elli und Chrissi sprechen sich aus und fahren den anderen hinterher. Alle outen sich, die Beziehungen bleiben, wie sie sind, und jetzt wird noch einmal zu Abend gegessen, aber ehrlicher. Auf der perfekt passenden Bühne mit klappernden Türen und ausgestattet von Jan Hax Halama brennt ein prasselndes Feuerwerk von feinem Hohn und Spott, zweideutigen Bemerkungen, Lebenswahrheiten und Anspielungen, dass es nur so kracht. Reiner Wein soll eingeschenkt werden, für Robert „bitte nur ein halbes Glas“. Ob alle wirklich ehrlich sind?

Das Ensemble spielt aus einem Guss, in einheitlich hoher Güte und mit viel Spaß am Spiel. Quintessenz von Heiner: Zu Hause schmeckt es immer noch am besten. Hoch verdienter jubelnder Applaus für eine reife Leistung und ein sehr empfehlenswertes Theaterstück.

„Alle unter eine Tanne“ | R: Urs Schleiff | bis 2.2. | Theater am Dom | 0221 258 01 53

Michael Cramer

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