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Wie sich Realität in Farbe auflöst

04. Januar 2012

John Chamberlain experimentiert mit der Panoramakamera – Kunst in NRW 01/12

Er war einer der Stars der Pop Art. Unmittelbar vor Weihnachten 2011 verstarb John Chamberlain mit 84 Jahren in New York. Chamberlain begann in den fünfziger Jahre aus Schrottteilen abstrakte Skulpturen zu entwerfen. Mit dem Erwerb einer Panoramakamera entdeckte der Amerikaner in den siebziger Jahren zunehmend die Möglichkeiten der Fotografie für seine Arbeit. Sieht man die Bilder, die jetzt in der Galerie Karten Greve in einer umfangreichen Ausstellung präsentiert werden, wird die Kontinuität deutlich, mit der sich Plastik und Fotografie als zwei Medien darstellen, die ein Thema vereint. Schon in Chamberlains Skulpturen fällt auf, wie virtuos der Amerikaner mit dem Schneidbrenner überraschende Formen und Oberflächen aus dem gepressten Stahl zu zaubern vermag. Die Fotografien wirken noch taktiler. Gleich einer Symphonie aus Falten, Flächen und Farbfeldern ergeben sich überraschend amorphe Gebilde, die so unmittelbar wirken, dass man sie nur zu gerne berühren möchte.

Die Kamera, mit der Chamberlain arbeitet, stammt aus dem 19. Jahrhundert und diente für Landschaftsaufnahmen, die einen Winkel bis zu 360 Grad erfassten. Chamberlain schwenkt sie in Hüfthöhe, so dass er die Aufnahme nicht durch den Sucher kontrollieren kann. Er fotografiert auf der Straße, in Restaurants oder im Kreis von Freunden. Das Ergebnis dieser spontanen Aktionen besteht aus Aufnahmen, in denen zumeist ein Teil des Bildes, wie ein Körper, eine Schale Speiseeis oder ein Gesicht zunächst noch zu erkennen ist, sich dann jedoch durch die Bewegung in Linien und Farbströme auflöst. Tatsächlich scheint die Realität in diesen Bildern ihre innere Konsistenz zu verlieren, so dass Kontur in weiche, farbige Masse dahinzuschmelzen beginnt. Gestalten verlieren ihre Festigkeit, die Welt zerfließt zu einem formlosen Strom.

Es entsteht ein Farbenspiel, das die realistische Malerei ebenso herauszufordern scheint, wie die farblichen Experimente eines Gerhard Richter oder die malerischen Zitate von Roy Lichtenstein. Im Unterschied zur Geste der Malerei basieren Chamberlains Aufnahmen aber auf dem fotografischen Abtasten der Realität. Das gibt den Arbeiten, bei all ihrer sympathischen Farbigkeit, einen abgründigen Aspekt. Bekanntes verzerrt sich von einem Moment auf den anderen in ein farbiges Nichts. Wie schon in seinen Skulpturen findet John Chamberlain eine ästhetische Methode, die Welt in Frage zu stellen, Bekanntes seiner sicheren Wahrnehmbarkeit zu berauben und uns in einen betörend sinnlichen Strudel aus Chimären zu ziehen.

bis 16.1., Di-Fr 10-18.30 Uhr, Sa 10-18 Uhr | Galerie Karsten Greve, Drususgasse 1-5 | Infos: 0221 257 10 12

Thomas Linden

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