In einem Raum der Fantasie arbeitet der Fotograf Roger Ballen. Eine Welt, in der es kein Oben und kein Unten gibt, in dem die Tauben gleich Himmelsboten eine Stippvisite einlegen und die Menschen an den Wänden Zeichen hinterlassen, die naiver als jedes Bild wirken, das uns aus der Welt der Höhlenmalerei bekannt ist. Kritzeleien, zumeist primitive, zeichenhafte Darstellungen von Gesichtern sind zu sehen. Es tauchen Schlangen, Puppen oder Mäuse im Staub auf, und mitunter verirren sich auch Menschen vor die Kamera von Roger Ballen. Der Amerikaner wohnt seit drei Jahrzehnten am Rande der südafrikanischen Megacity Johannesburg. Über lange Zeit hinweg fotografierte er eine Dorfgemeinschaft, die aus Nachfahren der Buren besteht. Abgeschottet leben die oftmals durch Inzest körperlich und geistig depravierten Menschen in eigenen Wohngebilden, aus denen sie Roger Ballen in eine Kulissenwelt der Zeichen entführt.
Die Galerie Karsten Greve in Köln zeigt jetzt unter dem Titel „Asylum of the Birds“ Bilder und Filme von Roger Ballen, in denen der Irrsinn unmittelbar greifbar zu sein scheint. Obwohl die Details in Ballens Bildern nicht bedrohlich sind, erzeugen sie in ihrem Zusammenspiel eine apokalyptische Situation. Es ist freilich ein Irrsinn, der in uns Menschen steckt, der Teil unserer Entwicklung ist und längst überwunden geglaubt gar nicht mehr in Betracht gezogen wird.
Zeichnungen kombiniert Ballen mit lebendigen Tieren und Menschen, so dass seine Werke auf den ersten Blick wie schwarzweiße Collagen wirken. Tatsächlich arrangiert Ballen jedoch ein kalkuliertes Setting vor der Kamera und wartet darauf, dass sich Tiere und Menschen vor der Kamera bewegen. Die Kulisse ist bereitgestellt, die Realität darf sich nun in ihr ereignen. Ballen versteht sich als Arrangeur, der zwar mit einem durch die Kunstgeschichte aufgeladenen Repertoire bedeutungsvoller Gegenstände arbeitet, aber dem Zufall gleichwohl eine Tür offen hält. Das Ergebnis stellt sich als eine Art Asyl der Alpträume dar, verstörend, humorvoll, und brillant in der Komposition. Deutungen bieten sich an, aber letztlich entziehen sich die Tableaus erfolgreich dem Versuch, sie schlüssig zu interpretieren.
Dem Surrealismus ist Ballen ebenso nahe wie der Art Brut, vor allem zu Jean Dubuffet scheint eine enge Seelenverwandtschaft zu bestehen. Ballen arbeitet mit Zeichen, aber er legt sie nicht auf erkennbare Muster an. Dass er die geistig und körperlich verwüsteten Menschen zu Protagonisten seiner intellektuellen Bildarrangements macht, mag manchen Betrachtern einen Beigeschmack verursachen. Auf poetisch verstörende Weise eröffnen seine kraftvollen Arbeiten den Blick auf eine frühe Stufe menschlicher Entwicklung, in der Menschen, Tiere und Dinge noch nicht voneinander getrennt sind und alles gleichbedeutend und damit sinnlos nebeneinander existiert.
Ohne dokumentarische Ambitionen zu entfalten, geben die Bilder eine Ahnung vom Ergebnis der inzestuösen Grenzüberschreitung als einem Chaos der Verwahrlosung und dem Leiden der Menschen im Status eines unterentwickelten Lebens. Die Bilder, mit ihren subtilen Grauwerten und ihrer überraschend vielseitigen Kompositionen, sind dem großen Drama ihrer Sujets jedoch gewachsen. Hier wird eben keine Küchenpsychologie betrieben, jedes Ding schneidet Ballen aus seinem symbolischen Zusammenhang und kombiniert es überraschend mit der Gegenwart von Menschen aus Fleisch und Blut zu virtuosen Bildkompositionen. Es hat etwas grausig verspieltes, das diese freudig unheimlichen Collagen umgibt, in denen die Statik der Zeichen mit der Vitalität der Körper konfrontiert wird. So unbegreifbar wie die Träume, entfalten sich auch die Bilder des Amerikaners als Geschichten, die sich nach ihren eigenen für uns unbekannten Regeln organisieren. Eine hypnotische Welt, in der Rogen Ballen unaufhörlich neue Wunderwerke produziert.
„Roger Ballen: Asylum of the Birds“ | Galerie Karsten Greve | bis 29.8. | www.galerie-karsten-greve.com
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