Düstere, Angst einflößende Töne erklingen, und das Publikum hält den Atem an. Eine Anspannung geht am Freitag durch den gut besuchten Saal der Philharmonie, eine spürbare, fast schon physische Konzentration macht sich breit, während hinter den Instrumentalisten des Ensembles Musikfabrik nun der Künstler De Kooning auf einer Leinwand erscheint: Ein Ausschnitt aus dem Film „Willem de Kooning“ über den gleichnamigen abstrakt-expressionistischen Künstler. Die Musik zu jenem entwarf der amerikanische Komponist Morton Feldman. Die Zeit im Klang aufzuheben war sein Anliegen, und genau dieses Gefühl entsteht beim Publikum: Durch die Reduzierung des Instrumentalen und die sich immer wiederholenden Klänge scheint die Zeit stillzustehen. Die Bewegung wird zum Atem des Klanges selbst.
Zu Feldmans Freunden in New York gehörte auch der Künstler Jackson Pollock, und so ist es nicht verwunderlich, dass er ebenfalls die Musik zu dem Film „Jackson Pollock“ komponierte. Musikalisch minimalistisch interpretiert von einem Duo erklingen auch hier unheimliche und gleichsam berührende Töne, während im Hintergrund diesmal der Maler Pollock auftaucht. Mehr noch: Passend zu der sehr drastischen Art, wie Pollocks abstrakt-expressionistisches Action Painting in jenem Film dargestellt wird, wird er ebenfalls sehr plastisch in die musikalische Darbietung hineingepflanzt, von oben mit seinem Pinsel auf die Philharmonie klecksend. Pollock scheint fast physisch anwesend zu sein.
Dynamisch erscheint kontrastiv dazu das nun dargebotene „Radio Rewrite“ von Steve Reich, welches, im Unterschied zum vorherigen musikalisch Minimalistischen, plötzlich von einem gesamten Orchester interpretiert wird. Das Ensemble Musikfabrik, das seit 25 Jahren schon zeitgenössische Musik jenseits von reiner Klassik kreativ darbietet, gelingt es durch klug gesetzte Kontraste immer wieder für Abwechslung und Überraschungen zu sorgen. Es ist das erste Mal, dass der für seine experimentelle Musik bekannte Reich Elemente der Rock-Musik in seine Komposition einbaute. Von gleich zwei Liedern der britischen Band Radiohead wurde er bei seinem Stück inspiriert: „Jigsaw Falling into Place“ und „Everything in Its Right Place“. Dass die Kölner Philharmonie der richtige Ort für diese experimentelle Musik ist, scheint auch das Publikum so gesehen zu haben. Jedenfalls verlässt diesmal niemand den Raum.
Zuletzt debütiertdie Installation „Richters Patterns“ des Kölner Komponisten Marcus Schmickler, der die Musik zu dem Film „Gerhard Richter Painting“ komponierte, ein Film über Details eines abstrakten Gemäldes. Schmickler führte Richters künstlerisches Experiment musikalisch fort, teilte, wiederholte und spiegelte musikalische Teile. Entstanden ist ein hochspannendes musikalisches Kaleidoskop, begleitet von abstrakten Bildfetzen Richters. Eine experimentelle Klangreise, die in Mark und Bein geht, bei der das Publikum nach einer Weile das Gefühl bekommt, Drogen konsumiert zu haben aufgrund der Dringlichkeit der sich wiederholenden Klänge und bei der Frage: War das nun gelb erscheinende Bild nicht vorhin noch grün? Das Ensemble Musikfabrik hat es fertig gebracht, ein Stück New York und abstrakten amerikanischen Expressionismus in die Philharmonie zu bringen, ohne diesmal dafür ausgebuht zu werden, Musik und Kunst auf eindringliche Art verschmelzen zu lassen und nicht zuletzt den Kölner Künstler Gerhard Richter zu ehren.
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