Kino muss „flexibel bleiben“, resümierte Kollege Christian Meyer seinen Vorspann im Januar. Dass das nicht bloß für Formate, sondern auch inhaltlich gilt, davon kann man sich mit einem Blick auf das neue Kinojahr überzeugen. Gleich zum Einstieg beschäftigt sich die große Leinwand fleißig mit sich selbst. Den Auftakt macht bereits „Babylon“, als nächstes feiert Sam Mendes mit „Empire of Light“ die Magie des Kinos und Steven Spielberg vollzieht mit „Die Fabelmans“ nach, wie er dem Film verfiel. Originell erscheint auch der kleine deutsche Science Fictioner „The Ordinaries“, der unserer Realität den Filmkosmos überstülpt: Menschen spielen hier wortwörtlich Haupt- und Nebenrollen. Und Teresa Vena verneigt sich in ihrem Langfilmdebüt „Piaffe“ vor der Nouvelle Vague – und vor dem Kino überhaupt.
Statt Film zu zitieren kann man ihn natürlich auch wiederaufführen. Ein Kollege schaut jeden Film grundsätzlich nur einmal, weil er meint: Für jeden Film, den ich nochmal sehe, entgeht mir ein neuer Film. Nachvollziehbar. Doch der zweite Blick hat Reiz und Wert: Einen Film erlebt man nicht selten bei wiederholter Sichtung anders und entdeckt Neues darin. Man durchlebt genussvoll Durchlebtes noch einmal oder gibt sich schlichtweg der Nostalgie hin und huldigt erneut große Vorbilder: Gute Satire („Schtonk!“), guter Thriller („Basic Instinct“), guter Trash („Flash Gordon“) – als Wiederaufführungen 2023.
Außerdem: Cate Blanchet dirigiert („Tár“), Wes Anderson lädt in seiner neuen Wundertüte ein zum Astrologen-Kongress („Asteroid City“), Darren Aronofsky schickt den einst fehlbesetzten Abenteurer Brendan Fraser („Die Mumie“) als 270-Kilo-Mann durchs Martyrium („The Whale“), während Greta Gerwig Margot Robbie als Barbie und Ryan Gosling als Ken in die Ernüchterung verdonnert („Barbie“). Der neue Christian Petzold („Roter Himmel“) sperrt vier Menschen in ein von Flammen umzingeltes Ferienhaus. Und anspruchsvollsten Mainstream erwarten wir uns von Denis Villeneuve („Dune 2“) und Christopher Nolan, der die Entwicklung der Atombombe zum Thriller verdichtet („Oppenheimer“). Apropos Biografisches: Ben Becker mimt Albert Oehlen („Der Maler“), Vicky Krieps verkörpert Ingeborg Bachmann („Reise in die Wüste“) und das Bild von Sissi wird erneut zurechtgerückt („Sisi & Ich“).
Nicht zu vergessen: Die vielen weiteren Filmkunstschätze, die man im Kinojahr für sich entdeckt. Die meisten Arthouse-Fans haben den Kinosaal indes nicht über die Filmkunst entdeckt, sondern über altersgerechte Formate. John Wick, Indiana Jones und Spider-Man kehren in diesem Jahr wieder und sind Einfallstüren für Menschen, die das Kino entdecken, ihm treu bleiben und sich heranwachsend weiteren Genres und Formaten öffnen.
Es ist alles da! Leinwandgötter sind auf dem Bildschirm bloß Streaminggurken – geht ins Kino! Schenkt Kino! Denn ein Kinoabend ist ein Geschenk und kann eine Offenbarung sein, wenn man sich der Leinwand öffnet und sich in ihr verliert. In diesem Sinne: Gute Reise durchs neue Kinojahr!
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