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Filmemacherin Christel Fomm, Kameramann Peter Kaiser, Cornel Wachter, Marlis Bredehorst und Martin Stankowski
Foto: Timo Belger

Der lange Atem des Kölschen Klüngels

16. März 2016

Doppelte Zeitreise: Filmmatinée „Vivat Gülich und der Bürger Freiheit“ im Odeon – Foyer 03/16

Sonntag, 13. März: Eine ungewöhnliche Mischung aus Stadtgeschichte und Reflexion aktuellen politischen Geschehens bot das Odeon-Kino. Gezeigt wurde ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 1987 über den Kölner Bürger Nikolaus Gülich, der sich im 17. Jahrhundert mit den Stadtoberen anlegte, um den Kölschen Klüngel zu bekämpfen. Die Vorstellung im Odeon, zu der die Partei Bündnis 90/Die Grünen eingeladen hatte, bot eine doppelte Zeitreise aus heutiger Sicht: Der Film vermischt sehr geschickt die Geschichte des historischen Gülich und des von ihm angeführten Aufstandes mit den Bildern des Kampfs der Grünen im Stadtrat aus dem Jahr 1987.

Nikolaus Gülich war der Initiator des letzten Aufstandes im Kölner Stadtgebiet, der wirklich von einem großen Teil der Bürger mitgetragen wurde. Wie der Film deutlich macht, wetterte er nachhaltig gegen den Kölschen Klüngel, gegen Vetternwirtschaft und Korruption. Der nach ihm benannte Gülich-Aufstand führte wenigstens vorübergehend sogar zur Absetzung des Stadtrats. Als dieser mithilfe des Kaisers die Macht zurück erlangte, kostete das Nikolaus Gülich das Leben. Auf der Mülheimer Heide wurde der Kaufmann 1686 hingerichtet.

Diese Geschichte erzählt der Film „Vivat Gülich und der Bürger Freiheit“ in Form einer Dokumentation mit inszenierten Spielszenen. Darin tritt ein Nikolaus Gülich in Garderobe und Sprache des 17. Jahrhunderts im Köln des Jahres 1987 auf. Zurückgekehrt von den Toten hat er seine Mühe im Straßenverkehr, aber auch im Umgang mit den Passanten. Er macht sich auf die Suche nach seinem Wirken und seinem Ansehen. Das muss zur Entstehungszeit des Films allerdings erst wieder hergestellt werden, wofür sich die Grünen gegen breiteren Widerstand einsetzen.

Der Film gibt neben der Geschichte Gülichs auch einen Einblick in den damaligen Kampf der jungen Grünen Politiker gegen den Klüngel im Kölner Stadtrat. Neben der Autorin des Films Christel Fomm und dem Kameramann Peter Kaiser standen auch politische Akteure der Partei nach dem Film zum Gespräch bereit. Die Kreisvorsitzende Marlis Bredehorst sowie Jörg Frank und Manfred Waddey stellten dann auch ihre Sicht auf den heutigen Kölschen Klüngel dar. Die Bandbreite reiche von vernünftigen Absprachen der Beteiligten zum Wohle der Stadt bis hin zu eindeutig kriminellem Verhalten, so die Einschätzung. Eine eindeutige Grenzziehung sei dabei nicht immer einfach. Allerdings sei die Besetzung lukrativer Posten wie die von Führungspositionen in Stadtwerken, Wasserwerken etc. heute nicht mehr wie früher durch Bekanntschaft und Beziehungen möglich, betonte Jörg Frank. Die dafür nötigen Spezialisten würden mittlerweile durch Personalfirmen gesucht, wodurch mehr geeignete Personen in den Fokus rückten.

Durchaus kritisch wurden sie von Martin Stankowski auch gefragt, was denn von der im Film zu sehenden rebellenhaften Opposition der Grünen und ihrer damaligen Ideale heute noch geblieben sei. Eine sehr aktuelle Frage gerade an diesem Sonntag, an dem zwei Bundesländer weiter südlich ein grüner Ministerpräsident zur Wiederwahl stand. Hier zeigt sich, dass die Grünen heute nicht mehr ganz gemäß ihrem im Film propagierten Ideal handeln, etwa wenn sie sich wie die anderen Parteien auch intern auf ihre Kandidaten einigen.

Von Nikolaus Gülich bleiben in Köln heute noch der Gülichplatz neben dem Wallraf-Richartz-Museum, eine Büste am Rathaus sowie der von den Grünen eingerichtete Nikolaus-Gülich-Fonds. Der wird durch eine Abgabe der grünen Ratsmitglieder finanziert und unterstützt einzelne kulturelle Projekte in Köln.

Mario Müller

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