Dass die Welt aus den Fugen sei, ist keine neue Erkenntnis. Was also tun? Die Bonner Produktion „Unsere Welt neu denken“ (nach Texten von Maja Göpel) macht zunächst einen Geschichtsparcours von der Bibel bis zu Milton Friedman, um dort die Grundlagen des wirtschaftswissenschaftlichen Blicks auf die Welt dingfest zu machen. Annika Schilling mimt dabei die pseudonaive Fragerin, ihre Kollegen Linda Belinda Podszus, Alois Reinhard und Daniel Stock turnen mal mit grauen Bällen (Galileo Galilei), mal mit Zylinder und Gehstock (James Watt) herum oder holen einen VW-Golf auf die Bühne.
Was gebrandmarkt wird, ist das Bekannte: Zerstörerische Naturbeherrschung und Wachstumsmodelle in all ihren historischen Ausprägungen. Und da Göpels Buch ein populäres Sachbuch ist, kennt auch Regisseur Simon Solberg keine populistische Grenze. Ist die Währung des homo oeconomicus der Egoismus und der Mehrwert, so der des homo theatralis die Emotion.
Wirtschaftliches Handeln wird, je länger der Abend dauert, nicht analytisch, sondern nach den moralischen Kategorien von Gut und Böse beurteilt – wie bereits im frühen 18. Jahrhundert. Der Zweck ist offensichtlich: Die Etablierung eines Gegennarrativs, das als Religionsersatz in einer verunsicherten Welt dienen soll. „Ich verabschiede mich von der Vorstellung, dass…“ rechtfertigt sich das Darstellerquartett schließlich (glaubens-)bekenntnisartig, während die neuen Heroen (Thomas Piketty, Peter Singer etc.) nur noch als Bildmonstranz gezeigt werden. Ihre Lösungen sind unwichtig, solange an sie geglaubt wird. Kapitalismuskritik als Religion – Marx rotiert in seinem Grab.
Unsere Welt neu denken | R: Simon Solberg | 16. & 20.10. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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