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Ulrike Janssen
Foto: Meyer Originals

„Wir werden kein besseres Paar, nur weil wir heiraten“

25. Juli 2022

Ulrike Janssen über „Szenen einer Ehe“ am Theater der Keller – Premiere 08/22

Die Ehe ist ein Klassiker – wenn es um Konflikte geht. Gleichgültig, ob in der bürgerlich-säkularen oder in der religiösen Variante, geknallt hat es irgendwann immer. Und wenn zwei sich streiten, freuen sich der/die Dritte, nämlich die Künstler. Von Euripides bis Ingmar Bergmann reicht die Reihe der großen Ehedramen. Der schwedische Regisseur hat zwischen 1972-74 seine „Szenen einer Ehe“ als Fernsehserie und Spielfilm gedreht, später kam noch das Theaterstück dazu. Das Stück hat Konjunktur: Karlsruhe, Krefeld, Göttingen, Hannover sind nur einige Stationen. Ein Gespräch mit Dramaturgin Ulrike Janssen, die Bergmanns Klassiker für die Bühne bearbeitet hat.

choices: Frau Janssen, ist die klassische Ehe ein Auslaufmodell?

Ulrike Janssen: Ich glaube, das ist unterschiedlich. Es gibt Teile in unserer Gesellschaft und dazu gehören auch viele junge Leute, bei denen die Ehe wohl wieder sehr angesagt ist. Bei Homosexuellen sieht man das ja auch, dort ist allerdings der historische Hintergrund ein ganz anderer. Wenn man sich also die Ehe als institutionelle Einrichtung ansieht, dann ist das ein sehr diverses Feld. Junge Leute sind heute allerdings mit anderen Fragen beschäftigt. Erstens: Sind wir überhaupt ein Paar oder sind wir bloß zwei Singles, die Sex miteinander haben? Zweitens: Wenn wir ein Paar sind, müssen wir dann nicht erst mal Regeln dafür finden.

Bergmanns Fernsehserie und Film stammen aus den Jahren 1973/1974. Wie aktuell sind sie noch?

Es ist in gewisser Weise nicht mehr aktuell. Das Paar bei Bergmann arbeitet sich an der Institution Ehe ab und versucht sie sich anzuziehen wie ein Kostüm. Aber die Ehe passt zu ihnen als Individuen einfach nicht. Letztlich suchen sie irgendeinen Weg, wie sie so eine Art Liebesbeziehung führen können. Das kann man heute so nicht mehr spielen. Deswegen haben wir das Stück einer Bearbeitung unterzogen: Vier Schauspieler:innen, zwei Männer, zwei Frauen, gehen an diesen Text so ran, als wenn er selber diese Institution wäre, und versuchen, ihn sich anzuziehen.

Wie sind Sie dabei mit dem Text von Bergmann umgegangen?

Wir haben zwar viel gestrichen, ansonsten den Text aber kaum verändert, nur ein bisschen aktualisiert. Weggefallen sind beispielsweise die beiden Kinder. Da hat sich schon sehr viel verändert im Vergleich zu vor 50 Jahren. Wir konzentrieren uns auf die Paarbeziehung. Zwei Sachen sind uns dabei wichtig. Das eine ist, dass wir durch die Besetzung mit zwei Paaren eine Öffentlichkeit reingebracht haben. Die einen schauen den anderen zu oder können deren Alter Egos sein. Manchmal wird der Text auch in unterschiedlichen Varianten gespielt. Und das Zweite ist, dass wir den Körper stark mit reingebracht haben. Der Körper sagt ja oft Dinge, die gar nicht ausgesprochen werden. Bei Bergmann wird dagegen eigentlich nur geredet.

Können Sie ein Beispiel für eine Szene nennen, die Sie in unterschiedlichen Varianten spielen und was sich dadurch verändert?

Der Wendepunkt bei Bergmann ist Johans Geständnis, dass er sich in eine andere Frau verliebt hat und ausziehen will. Das ist eine ganz interessante Stelle. Wenn das ein Mann zu einem Mann sagt oder die Frau zu einem Mann, dann verändert sich das durch die wechselnden Besetzungen und man fängt an, darüber nachzudenken. Wie würde ich das denn machen? Wer ist jetzt eigentlich der oder die Böse usw.?

Das würde auch für das Klischee gelten, dass sich Johan in eine junge Studentin verliebt?

Wir behandeln die „Szenen einer Ehe“ eher als Modell-Situationen, die von verschiedenen Paaren durchgespielt werden. Es gibt eine Neuverfilmung der Serie von Hagai Levi, die die Konstellation umdreht, dass also die Frau ihren Ehemann wegen eines jüngeren Mannes verlässt. Das Strickmuster hat man aber schnell begriffen. Ich fand es interessanter, mehrere Szenenvarianten dagegen zu setzen und durchzuspielen. Letztlich geht es immer um die Frage, wie gehen die miteinander um? Und die zweite zentrale Frage lautet: Erleben wir alle immer dieselben Geschichten oder ist es bei jedem anders? Wenn eine ältere und eine jüngere Frau zu einem älteren und einem jüngeren Mann sprechen, dann hört man zwar mehrfach denselben Text in derselben Szene, trotzdem hat man das Gefühl, dass die Geschichte hinter den unterschiedlichen Paaren irgendwie anders abgelaufen sein muss. Und da stellt sich dann die Frage, ob wir vielleicht dasselbe auf ganz verschiedene Weise erleben.

Die beiden klären ihre Eheprobleme ganz ruhig in Gesprächen. Inwieweit ist das auch eine typische Mittelstandsehe?

Bergmann hat die Serie 1972 gedreht und es gibt sehr viele Dialogszenen in Großaufnahme, die zum Teil auch sehr intellektuell daherkommen. Das haben wir ein bisschen reduziert und dafür den Körper reingebracht. Durch die Art wie wir das Körperspiel integrieren, spielt die gesellschaftliche Schicht nicht mehr so eine große Rolle.

Inwieweit geht es denn bis heute eigentlich immer auch um die Frage der Machtverhältnisse?

Das ist ein wichtiger Punkt. Wir versuchen, diese Frage am Schluss stärker in den Vordergrund zu rücken. Wenn man den Text auf vier Stimmen verteilt, sieht man zwar die einzelnen Szenen, aber eben auch wie diese Szenen beobachtet werden. Und das alleine stellt schon die Frage nach den Machtverhältnissen. Die damit hergestellte Öffentlichkeit bringt dann wieder eine neue Frage auf, nämlich wie wir vor anderen Leuten miteinander umgehen und uns als Paar darstellen. Bei uns wird es Szenen geben, in denen sich die Paare nicht nur gegenseitig beobachten, sondern auch auf das Beobachtetwerden reagieren.

Das erinnert mich an „Er hat Angst vor Virginia Woolf?“ Da spielt das ältere Paar ja auch dem jüngeren Paar seine „Szenen einer Ehe“ vor?

Es hat etwas davon. Bei uns sind es allerdings nur kleine Momente, die als Spiel, als Erprobung, als Ausprobieren eingesetzt werden, es bestimmt nicht die Dramaturgie des ganzen Stücks wie bei Edward Albee.

Für Marianne und Johann spielt auch die Frage der sexuellen Attraktivität eine wichtige Rolle. Wie ist das heute, hat sich daran etwas verändert?

Bei Bergmann spricht das Paar scheinbar völlig sanft, aber die beiden sagen sich die brutalsten Sachen, gerade auch zu diesem Thema. Das finde ich schon krass. Wir werden das nicht in allen Fragen ausspielen, aber wenn an einer Stelle zwei Leute über ihre Beziehung nur reden und zugleich sich ein anderes Paar vielleicht umarmt, dann sieht man schon eine gewisse Diskrepanz. Man sieht plötzlich, was fehlt, wenn da nur gelabert wird.

Wenn Sie das jetzt Revue passieren lassen, ist die Ehe immer noch ein attraktives Modell oder läuft das am Ende auf eine Demontage hinaus?

Bei Bergmann auf jeden Fall. Und bei uns soll sich der Fokus verschieben zu der Frage, wie wir miteinander umgehen. Wir werden nicht ein besseres Paar allein dadurch, dass wir heiraten. Es gibt keine Institution, die die Frage „Wie gehe ich mit dem anderen um?“ für mich lösen kann. Das muss ich immer aushandeln.

Szenen einer Ehe | R: Heinz Simon Keller | 12., 14., 31.8. | Theater der Keller in der Tanzfaktur | 0221 31 80 59

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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