Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.560 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Stühle in Schieflage

28. Februar 2020

Im Überblick: der Universalkünstler Stefan Wewerka in der Villa Zanders – kunst & gut 03/20

Zu den Ausstellungshäusern, die sich um die Kölner Kunstszene der vergangenen Jahrzehnte verdient gemacht haben, gehört die Villa Zanders in Bergisch Gladbach. Nach Wolfgang Niedecken, Mary Bauermeister und Karlheinz Stockhausen folgt mit Stefan Wewerka ein weiteres Schwergewicht. In Köln hat Wewerka (1928-2013) zunächst von 1954 bis 1962 gelebt und gearbeitet. 1973 ist er aus Berlin zurückgekehrt und hat ab 1977 an der Fachhochschule unterrichtet.

Dr. Petra Oelschlägel
Foto: Susanne Schröder
DIE KURATORIN:
Dr. Petra Oelschlägel ist seit 2011 die Leiterin des Kunstmuseum Villa Zanders, wo sie seit 1993 tätig ist, und Kuratorin der Ausstellung. Sie studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Politische Wissenschaften in Köln begann ihre Laufbahn am Museum of Modern Art, New York.

Wewerka war Sohn eines Bildhauers, er selbst hat in Berlin Architektur studiert und zunächst auch praktiziert. Seine Tätigkeit führt ihn in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre nach Paris und Washington, wo er bereits an Gegenentwürfen zur gängigen Architektur arbeitet. Zu seinen frühen Utopien gehören ab 1958 die Zeichnungen von „Erdarchitekturen“: Wewerka strebt mit diesen Entwürfen die Einheit von Topographie, Vegetation und Architektur an. Es ist dann die freie Kunst, mit der er der Überlegung, wie sich der Mensch mit und in der Zivilisation einrichtet, nachgeht. Auf den Bau der Berliner Mauer, die Ost- und Westdeutschland trennt, hat Wewerka schon 1961 reagiert und Teilungen von Papieren und Fotografien vorgenommen. Prägnant sind seine Zersägungen von Stühlen. Der Stuhl gerät ins Kippen und muss durch die Wand gestützt werden, in der sich das Objekt wieder zur Einheit zu ergänzen scheint. Oder er gerät eben in die Schieflage – die Ausstellung in Bergisch-Gladbach gibt einen guten Einblick in Wewerkas Erfindungsreichtum und das Spektrum seiner Realisationen, die von dem hälftig getrennten und mit Scharnier „umklappbar“ verbundenen „Fünf-Mark-Stück“ (1966) bis zur ausfahrbaren Wohneinheit reichen, etwa der famosen „Cella mit Küchenbaum und Einschwinger“ (1984) aus der Sammlung des KOLUMBA.

Der Tüftler Stefan Wewerka hat zudem das Potential der Dinge selbst befragt: Bei ihm werden die Stühle, die er auch gebogen, verschoben und gefaltet hat, zum Synonym für menschliche Verhaltensweisen und ihre Beziehungen zueinander. Einzelne sind als experimentelles Design in Serie gegangen, etwa der „Aufsehersitz (Wärterstuhl)“, der auf der Kasseler documenta 1987 zum Einsatz kam. Auf dieser documenta trat Wewerka noch als Schöpfer eines Pavillons hervor, der anschließend als Ausstellungshalle an den Aasee in Münster transloziert wurde: Also auch hier besteht die Kunst darin, den Blick auf (andere) Kunst zu lenken. Sie wird unsichtbar. Aber sie ist durchdacht, komponiert. Anhand der Skizzen in der Villa Zanders erkennt man, wie Wewerka bei seinen schiefen Stühlen systematisch den Bezugspunkt verschoben und damit skulpturalen Fragen der Schwerkraft und der Balance nachgegangen ist. Die Themen und Sujets dafür sind außer der Architektur und dem Möbeldesign die Mode, aber auch Aspekte der Politik und der Urbanistik, und eine „Waffe“ Wewerkas ist die Theatralik, die ihn in Verwandtschaft zu den Fluxus-Künstlern setzt. In einer Fotoserie fällt er kerzengerade, auf einem Foto scheint er den Kölner Dom zu verschieben. Der Mensch ist mit seiner Körperlichkeit immer dabei. An der Schau in Bergisch Gladbach hätte Wewerka seinen Spaß gehabt.

Stefan Wewerka – Dekonstruktion der Moderne | bis 19.4. | Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach | 02202 14 23 34

Thomas Hirsch

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Challengers – Rivalen

Lesen Sie dazu auch:

Traditionen der Abstraktion
Martin Noël in Bergisch Gladbach

Alles aus Papier
Oskar Holweck im Kunstmuseum Bergisch Gladbach

Malen mit der Farbe
Rolf Rose im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 01/24

Farbsehen und Raumfühlen
Mechtild Frisch in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 07/23

Bücher ausstellen
„Bibliomania“ im Kunstmuseum Villa Zanders – kunst & gut 11/22

Kleine Wunder
Inge Schmidt in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 07/22

Leicht aus der Balance
Otto Nemitz im Kunstmuseum Villa Zanders

Der Mensch bei sich
Hede Bühl in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 03/21

Ein genaues, insistierendes Sehen
Reihe Ortstermin: Jutta Dunkel und Martin Rosswog im Kunstmuseum Villa Zanders – kunst & gut 10/20

Auf den Raum hin, mit den Künstlern
Sammlung Altmann und Howard Smith in der Villa Zanders – kunst & gut 08/19

Ein Rhythmus mit Filzstiften
Karlheinz Stockhausen in der Villa Zanders – Kunstwandel 12/18

Bilder voller Ahnungen
Ellen Keusen im Kunstmuseum Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/18

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!