Ist es nicht erstaunlich, wie viele Künstlerinnen und Künstler aus allen Gattungen sich dem Buch zuwenden? Nicht nur seinen Inhalten und der Schrift, sondern auch – oder gerade – seiner vermeintlich stereotypen Form. Das Buch ist aufgeschlagen oder geschlossen, alleine für sich oder tritt mit weiteren auf, wird zu Skulpturen und Installationen geschichtet und umgearbeitet. Es ist als Malerei ein Farbereignis von Covern und Rücken oder widmet sich als Fotografie oder Zeichnung einzelnen Seiten, die wichtige Texte oder einfach die Konstruktion des Buches herausarbeiten.
Die Ausstellung im Kunstmuseum Villa Zanders präsentiert auf zwei Stockwerken mit Werken von den 1960er Jahren bis heute die ganze Breite des Themas. Dazu gehören die Funktionalität und Aura von Bibliotheken, die Typografie und die Zeitung und das Fachbuch. All das in Zeiten, in denen das gedruckte Wort durch die Digitalisierung und das Internet auszusterben scheint. Vertreten sind nicht nur solche Künstler:innen, die ausschließlich, sozusagen ihr Leben lang, mit dem Buch als Material arbeiten oder diesem über die Jahre hinweg Werkreihen widmen, sondern auch solche, die punktuell auf das Buch als Phänomen unserer Zivilisation und Kultur zurückkommen. Candida Höfer ist in der Villa Zanders mit ihren überschauenden Fotografien menschenleerer Bibliotheken vertreten, die umso mehr die Erkenntnisfülle und die (einstige) gesellschaftliche Bedeutung dieser Einrichtungen, aber auch ihre Architektur verdeutlichen. Von Cornelius Völker wird eines seiner Gemälde mit Bücherstapeln gezeigt, die mit ihren Papierrändern und Kartondeckeln wie der Turmbau zu Babel Aspekte des Wissens vertiefen und alles zugleich in Malerei auflösen. Großartig ist auch die riesengroße abstrahierende Fotografie von Ralf Kaspers, die ein juristisches Standardwerk so zeigt, dass die einzelnen Seiten in ihrem ganzen Gewicht und Alter spürbar werden. Annette Kelm wiederum untersucht in ihrer fotografischen Serie „Die Bücher“ die Gestaltung – und mit ihr auch die Inhalte und Themen – von Buchwerken im Dritten Reich.
Vertreten sind weiterhin solche Künstler, die sich nicht nur auf das Buch konzentrieren, sondern mit diesem in den Raum hinein arbeiten: Takako Saito und Hubertus Gojowzyk, der einen Durchgang mit Büchern „vermauert“ hat, und Peter Wüthrich, dessen aufgeschlagene Bücher wie Vögel wirken. Während Ralph Fleck ein prall gefülltes, gelb leuchtendes Bücherregal in expressiv sinnlicher Malerei und Peter Zimmermann die Cover malerisch vergrößerter Polyglott-Reiseführer zeigen, hat Anne Berning die gemalten Buchrücken einzelner Kunstbände wie Latten an die Wand gelehnt. Anregend ist aber schon die Einleitung der Ausstellung mit Teppichen, Sitzen zum Lesen in der dort versammelten „Bibliothek der ungelesenen Bücher“ von Julius Deutschbauer. Eigentlich muss man ihn selbst dazu erleben – was man ja bei seiner Lecture-Performance konnte, mit der er die guten TV-Literatursendungen paraphrasierte und mithin ins Absurde wendete. Schließlich geht es bei ihm um Bücher, die niemand liest, aber jeder im Regal stehen hat. Auch das ist nun Teil dieser Bibliomania.
Bibliomania – Das Buch in der Kunst | bis 8.1.23 | Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach | 02202 14 23 34
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