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Kein Grund, aufeinander herabzusehen
Foto: Melanie Redlberger

Skandal-Ehe

26. Oktober 2017

Vom frühen „Bund des Teufels“ mit der „Pfaffenhure“ – THEMA 11/17 FRAU LUTHER

Die Heirat zwischen dem (Ex-)Mönch und Reformator Martin Luther und der aus dem Kloster geflohenen Nonne Katharina von Bora im Jahre 1525 besiegelte eine Skandal-Ehe. Für die Zeitgenossen war es ein Bund des Teufels. Luther war auch kein Pfarrer, trotzdem wurde von Bora als „Pfaffenhure“ geziehen; katholische Gegenpropaganda war nie zimperlich. Dem Dreck, der von den Katholiken über Katharina, die „Lutherin“, auskübelt wurde, hielten die Protestanten die Glorifizierung der „berühmtesten Ehe der Welt“ entgegen. Aber auch das war nur ein Slogan, in den sich im folgenden halben Jahrtausend all das packen ließ, was protestantische Männer den Frauen als Rolle zudachten. Beim Blick in die Historie wird deutlich: Die Reformation hat mit der Emanzipation der Frau nur wenig zu schaffen.

Zwar betonte Luther das Priestertum aller Gläubigen und damit auch das der Frauen. Aber er begründete ebenfalls die Tradition des lutherischen Hausvaters, der Frau und Kinder im Gebet anleitet. Auch der Protestantismus ist zuvorderst patriarchal. Es ist nicht überraschend, dass nach der Reformation erst einmal lange nichts passierte mit der Rolle der Frau. Die Kirche der altpreußischen Union erlaubte dann ab 1927 Theologinnen als Vikarinnen einzustellen. Der Pferdefuß an der Sache war aber, dass sie nur für die Arbeit mit Frauen und Kindern vorgesehen waren. Einen Emanzipationsschub bekamen protestantische Frauen erst – und wie so oft – in Kriegszeiten. Während die Männer in den Zweiten Weltkrieg zogen, übernahmen viele Pfarrfrauen deren Arbeit. Sie waren in Seelsorge und Konfirmandenunterricht tätig, versahen den Predigtdienst und erhielten auf diese Weise das Gemeindeleben aufrecht – soweit das möglich war im totalen Krieg. Not machte Gleichberechtigung. Als die Männer aber heimkehrten, war für die Frauen zunächst wieder Schluss mit Predigt und Abendmahl.

Nach dem Krieg war es den evangelischen Landeskirchen dann nicht mehr geheuer, Pfarrstellen mit Frauen zu besetzen. Als 1958 Elisabeth Haseloff als erste Frau in Deutschland ordiniert wurde, entsannen sich die Kirchenherren einer guten alten katholischen Tradition: Sie verpflichteten die Pastorin Haseloff ebenso wie ihre ersten Amtsschwestern zur Ehelosigkeit, oktroyierten ihnen sozusagen den Zölibat. Die Frau konnte und durfte nicht Herr im Pfarrhaus sein. Die Landeskirche Schaumburg-Lippe führte als letzte deutsche Landeskirche die Frauenordination ein. Das war 1991. „Fortschritt geht schneller“, befand die evangelische Vikarin Hanna Jacobs in der Wochenzeitung Die Zeit.

Dennoch, das gegenwärtige Selbstverständnis der evangelischen Kirche ist ein anderes als die historische Wirklichkeit. Die Selbstwahrnehmung ist die einer Kirche, in der Frauen emanzipiert und gleichberechtigt sind und seit Luther – mehr oder weniger – waren. Nur von Luthers Thesenanschlag bis zu Elisabeth Haseloffs Ordination brauchte es 441 Jahre und erst 1978 wurde überhaupt die rechtliche Gleichstellung der Pfarrerinnen in fast allen Landeskirchen vollzogen. Selbst wenn Margot Käßmann 1999 Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers wurde und 2009 gar Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), ist sie Ausnahme und nicht Regel für den Umgang mit und den Chancen von Frauen. „Wir ruhen uns auf den Erfolgen Margot Käßmanns aus. Als sie zur Ratsvorsitzenden der EKD gewählt wurde, konnten sich die Männer in den kirchlichen Führungspositionen zurücklehnen und die Frauenfrage erst einmal abhaken“, lautet die pointierte Diagnose von Jacobs.

Das alles hat auch mit dem negativen Menschenbild des Reformators selbst zu tun. Der Mensch ist vollkommen auf göttliche Gnade angewiesen. Allein Beruf und Alltag zählen für Luther. Die vom Reformator den Frauen zugedachte Rolle war die, unter Schmerzen und Bedrohung ihres Lebens zu gebären und dem Mann eine Gehilfin im Pfarrhaus zu sein. Und Katharina von Bora blieb lange Zeit das Rollenidol der Frau im Pfarrhaus. Ein Idol, das sich mit einem religiös verklärten Muttermythos verband. Mit ihm ließ sich die reformatorische Ablehnung der volksfrommen Marienverehrung eine andere ideale Mutter entgegenstellen. Stolz schauen die Protestanten seither auf die Mariengläubigen Katholiken herab, als wäre die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der evangelischen Kirche die natürlichste Sache der Welt.


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