Eine riesige Waschtrommel dreht sich auf der Bühne der Bonner Kammerspiele. Der Rest ist metallischer Gerüstbau und ein flaches Planschbecken (Visual Architect: Valentin Baumeister). So schön ist Verona in Italien, mafiös seine Strukturen. Hier leben Romeo (Manuel Tschunke) und Julia (Lara Waldow), „two normal kids“ zwischen Kalaschnikow und flinkem Messer, zwischen Machismo, korruptem Adel und der allgegenwärtigen Clan-Gesetzgebung. Ja – Romeo und Julia, die Liebenden, die den ganzen Irrsinn des grundlosen Hasses in Verona beenden könnten, wenn ein gewisser Herr Shakespeare es nicht anders gewollt und sich dabei auch noch auf Naturgesetze berufen hätte.
Und so geht der Eiserne Vorhang in Bad Godesberg hoch und der Besucher kann hineinschauen in das schwarze Loch des Hasses. Faul ist der Frieden, den der Morgen bringt. Party on Mercutio (Hajo Tuschy), hoch die TassenBenvolio (Philipp Basener), doch verflixt, Gewehrsalven hallen noch durch den Raum, Kriegsgebiet Verona, zwei Familien halten die Stadt auf Trab, warum weiß niemand mehr, aber Familiennamen wie Capulet (geht gar nicht) und Montague (kotz) sind nicht gerade begehrt, und dann schaut auch noch Tybalt (Benjamin Berger), ein Capulet von der anderen Seite, um die Ecke, die jungen Männer haben sichtbar ihren Spaß an der Stadtguerilla. Dies Hassen lieb ich: Weil ich liebe Hass.
Die Regie von Laura Linnenbaum leidet ein wenig am untauglichen Versuch einer aufgesetzten Modernität. Von Leidenschaft, die Leiden schafft, sind alle irgendwie Lichtjahre entfernt. Man müht sich durch die Trommel, man müht sich durch den von Thomas Brasch geglätteten Text mit Kiffen und Kacke. Aber man müht sich irgendwie auch durch die Handlung. Cholerisch der Vater, schlaff der Prinz, die Montague-Meute dafür auch mal etwas aufgesetzt tuntig, ein blasser Romeo und eine unscheinbare Julia. Da wirkt Wolfgang Rüter als Amme gleich wie ein Anarchist während der Kaffeefahrt zur Heizdeckenschau. Das funzt alles irgendwie nicht. Atemlos durch die Nacht geht anders, und es wird zäh, wenn es scheißegal ist, ob Nachtigall oder Lerche, wenn nicht einmal der Tod noch emotionalen Aufruhr erzeugt, allerdings zu einer sehr schönen „Michael ick hör dir trapsen“ – Choreografie im Hintergrund führt. Dank an den Movement Advisor Lili M. Rampre, und sicher hatte der Light Conductor Sirko Lamprecht auch seine Finger im Spiel. Genug gefrozzelt. Das ausgedehnte Spiel der Geschlechter und ihren Rollen wäre sicher ein interessanter Ansatz gewesen, hier endet alles in einem schwarzem Loch, wie die Toten, die Pater Lorenzo (Benjamin Grüter) entsorgt. Und ein Sixpack Bier und Karaoke-Placebo versetzen diePiazza delle Erbe und das Casa di Giuliettanicht nach Syrien oder an die Krim und einen August Wilhelm von Schlegel am Ende nicht ins Raumschiff Enterprise. Die drei jungen Milizionäre konnten mit ihrem betont körperlichen Spiel gefallen, natürlich auch die expressiven Figuren Amme und Pater Lorenzo, der Rest schien wie von der emotionalen Ersatzbank besetzt. Dafür hatte aber die Musikspur Klasse. Wie hieß nochmal das Stück?
„Romeo und Julia“ | R: Laura Linnenbaum | Sa 8.10., Mi 26.10., Sa 29.10. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bad Godesberg | 0228 77 80 22
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