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Foto: Lys Y. Seng

Präsenz einer Abwesenden

08. August 2022

„3 Schwestern“ von schmitz + möbus kollektiv – Theater am Rhein 08/22

Mit Brötchen beginnt es, beim Tod endet es. Thelma und Louise oder Selma und Luise (Franziska Schmitz, Anna Möbus) sind Schwestern und treffen sich zum Frühstück in der Küche – Thelma hat aber die Brötchen vergessen und schon ist der Streit da. Klassischer Geschwister-Streit mit vertrauten Tiefschlägen und Versöhnungsangeboten. Ironie und Komik als Mittel der Distanzierung auf der einen Seite, vermeintliche Autorität der älteren Schwester auf der anderen. Wer mit Geschwistern aufgewachsen ist, kennt das Setting, in dem ein frühkindlich eingeübter Stellungskrieg mit vorhersehbarer Rollenverteilung immer wieder ausgefochten wird. Doch Andrea Bleikamps sehenswerter Schwestern-Pas-de-deux stellt nur den Auftakt für ein viel abgründigeres Spiel dar.

Familien gelten zwar als robustes, wenn auch überschätztes soziales Basisformat der Gesellschaft, doch im Inneren erweisen sie sich oft als fragil. Der Schwesternstreit mündet in eine Archäologie der Familiengeschichte um den Tod der gemeinsamen dritten Schwester Freddie als zentraler Leerstelle. Basis des Abends bilden eigene Erfahrungen der Schauspielerinnen Anna Möbus und Franziska Schmitz, in deren Familien vergleichbare Erlebnisse vorkamen. Über das Spiel mit Playmobilfiguren und einem Modellhaus werden die Erlebnisse am Todestags Freddies rekonstruiert. Ein Schwimmbadbesuch, eine Unachtsamkeit und eine Ablenkung - und die Katastrophe ist da. Thelma und Louise verwandeln sich in Vater, Mutter, Tante, switchen in ihre eigene „Rolle“ zurück und machen die Zerstörung der alten Familienstruktur offensichtlich. Die Regie und die beiden Schauspielerinnen nutzen Streitgespräch, dialogisches Erinnern, Rollenspiele, choreographische Elemente, und gelegentlich streift der Abend das Psychodrama mit seinem Schleudergang der Gefühle zwischen Wut, Hass, Trauer, Ängste, Trost, Sehnsucht und Liebe. Doch dem Trio geht es dabei weniger um verdrängte Gefühle als um die nie endende Gegenwart einer Toten und die zerstörte Balance des familialen Beziehungsgeflechts. „Man sagt, ‚die Zeit bringt Linderung‘ – / Die Zeit hat nie gelindert“, heißt es in einem Gedicht von Emily Dickinson.Tote Geschwister verschwinden nie vollständig. Sie sind die Wunde, die nie sich schließen will, der Phantomschmerz, der nie nachlässt.

3 Schwestern | Mo 29.8. 20 Uhr, atelier mobile, Alfred-Schütte-Allee 165 | Fr 2.9. 20 Uhr, Maastrichter Salon | 0221 985 45 20 (Freihandelszone)

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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