Ein völlig verklärtes Amt bedarf der Entromantisierung: Die Liste mit sowohl glücklichen als auch geschätzten König:innen dürfte übersichtlich sein. Wer sich von Gott auserkoren fühlt, auf die himmlische Bestimmung sogar pocht, findet sich als Urteil der Zeitgenossen in den inneren konzentrischen Höllenkreisen der „Göttlichen Komödie“ Dante Alighieris wieder. So auch König Behringer in „Der König stirbt“ am Schauspiel Köln. Paula Pohlus 90-minütige Adaption von Eugène Ionescos Drama zählt von Anbeginn die Soll-Lebenszeit des Fürsten bis zur biologisch erzwungenen Abdankung herunter. In dieser Spanne durchlebt der Patriarch in Begleitung seiner sarkastischen Gefolgschaft verschiedenste Gemütsphasen, die mit dem drohenden Unheil verbunden sind: Verwirrung, Leugnung, Auflehnung, Schuld, Selbstmitleid und schließlich Einsicht. Über allem thront die Sehnsucht nach Macht. Sie gilt es zu erhalten, auch über die Theatervorstellung und somit die eigene Endlichkeit hinaus.
Natürlich ist Ionescos‘ respektive Pohlus‘ Welt nur eine Bühne. Die Shakespeare-Anleihen, etwa aus „Richard II.“, bleiben im Stoff allgegenwärtig. Die vierte Wand zum Publikum wurde durchlässig errichtet und lädt zu Empörung oder Zustimmung des Volkes ein. Selbst der Hintergrund gewährt mittels der Konstruktion eines gläsernen Halbrunds aus Türen (Bühne: Aline Larroque) Einblicke in Intrigen und Ränkespiele des Hofes. Doch der sterbende König spricht eine völlig andere Sprache. Hier schwingt kein anmutiger Klang durch die Zeilen. Nüchtern, desinteressiert, vor sich hin brummelnd, beiläufig stichelnd, zuweilen Geschwafel oder obszöne Bemerkungen absondernd, winden sich die Monologe und Dialoge der Darsteller:innen durch einen baufälligen Palast, begleitet von narzisstischen „Ich! Ich! Ich!“-Ausbrüchen. Für den Autokraten eine persönliche Zumutung, stellt der Tod für die Lebenden eine Erlösung dar – und für die Überlebenden im besten Falle einen finanziellen Zugewinn.
Die Tragik verblasst schon in Minute eins. Es darf gelacht werden. Die Groteske funktioniert bekanntlich am besten, wenn den Menschen die Roben ihrer Eitelkeiten abgenommen werden. So stolziert der Despot zunächst in einem purpurnen Strampelanzug mit Krone und Zepter (Kostüme: Clara Maria Bohnen) durch sein übriggebliebenes Reich, das bald schon eine Gruft sein wird. Wie die Kostüme fallen auch die Lebenssekunden wie Blätter vom Baum. Das Dasein verlischt langsam. Auf dem Weg ins Nichts flackert die kindliche Unbeholfenheit des nahezu nackten Greises durch den Raum. Der Monarch stirbt plappernd, stolpernd, orientierungs- und hilflos. Die Trauer weilt an einem anderen Ort. Das erstaunlich homogen agierende Ensemble um Benjamin Höppner als König, Henri Mertens und Nicolas Streit als dessen Gemahlinnen, Sinan Güleç als Hofarzt und Scharfrichter und Kei Muramato als Chefdiener führt eingebildete Existenzen als Weltenherrscher auf eine erleuchtende Wanderschaft zu absurden Lichtungen. Der König ist tot. Lang lebe seine Unpässlichkeit.
Der König stirbt | 4., 25.12., 5., 12.1. | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
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