choices: Frau Schock-Werner, gibt es im Kölner Dom noch Geheimnisse?
Barbara Schock-Werner: Nein, aber es gibt eine Reihe ungeklärter Fragen, etwa, warum der Dom so fantastische Fundamente hat.
Kann sich ein Besucher über diese offenen Fragen informieren?
Wir zeigen auch nicht so populäre Plätze. Das neue Eingangsbauwerk führt nicht nur auf den Turm, man kann auch hinunter durch die Fundamente zu den archäologischen Ausgrabungen gehen – ein wirklich ungewöhnlicher Ort. Es gibt Führungen über die Dächer des Domes oder ein Angebot zum Thema Glocken.
Welches dieser Highlights ist für Sie persönlich das interessanteste?
Die Glockenführung. Wir haben hier die europaweit fast einmalige Situation, dass Reste der Glockengussgruben der beiden mittelalterlichen Glocken noch vorhanden sind, die oben im Turm hängen. Die Führung führt vom Glockenguss zum Glockenstuhl. Wenn man zur richtigen Zeit bucht, bekommt man professionelle Ohrschützer und kann das Abendschlussgeläut vor Ort erleben. Das ist ganz fantastisch.
Touristen kommen aus unterschiedlichen Kulturen. Ein europäischer Katholik weiß in der Regel mehr über Kathedralen als jemand aus China. Wie gehen Sie damit um?
Ein Teil der Führungen, z.B. die über das Dach, wird nicht von Fremdenführern, sondern von meinen Mitarbeitern gemacht. Eine Kollegin spricht Russisch, ein anderer ist türkischstämmig und führt auf Türkisch. Bei manchen Gruppen, etwa den Chinesen, merken wir, dass sie oft nicht wissen, wo sie sind und was das für ein Ort ist, wo sie sich befinden. Hier versuchen wir gegenzusteuern.
KölnTourismus hat Asien gerade als Wachstumsmarkt entdeckt. Damit ist diese Herausforderung ständig gegeben.
Es wäre interessant, hier vielleicht in Kooperation mit KölnTourismus katholische Chinesen zu finden, die ihre Landsleuten nicht nur über den Dom als besonders großes und attraktives Weltkulturerbe informieren, sondern ihnen auch etwas vom Geist dieses Platzes vermitteln.
Sie haben einmal gesagt, als Dombaumeisterin müsse man katholisch und schwindelfrei sein. Heißt das, in Zukunft müssen Fremdenführer katholisch, polyglott und multikulturell gebildet sein?
Sagen wir lieber, es geht darum, in einer christlichen Tradition aufgewachsen zu sein und gute Kenntnisse des Christentums zu haben. Da ist katholisch ideal, aber es kann auch ein Evangele sein.
Eine grundsätzliche Frage: Wie viele Touristen verträgt der Dom?
Der Dom ist sehr groß, deshalb verträgt er ganz viele, derzeit durchschnittlich rund 20.000 täglich. Was man besser steuern müsste, ist die Verteilung über den Tag. Der Dom hat eine der längsten Öffnungszeiten von Kirchen in Europa, von 6 Uhr morgens bis 19.30 Uhr. Aber alle wollen vormittags um elf hinein, dabei ist es um 17 Uhr noch genauso schön, und es sind weniger Leute da.
Wirken sich die hohen Besuchszahlen nicht auf das Binnenklima des Doms aus?
Nein. Wir haben das messen lassen, das Klima schwankt kaum, weil der Innenraum so groß ist. Die Menschen machen allerdings viel Schmutz. Die Staubablage besteht nach einer Analyse zu über 80 Prozent aus Textilfasern. Das ist der Körperabrieb der Besucher. Das muss natürlich abgestaubt werden. Aber eine Gefährdung des Gebäudes ist das nicht.
Vor einiger Zeit haben die Bauarbeiten für einen Kölner Dom im Internetspiel „Second Life“ begonnen. Wie steht es damit?
Derzeit wird an zwei Kölner „Domen“ gearbeitet, weil sich die Gruppe gespalten hat, die das Projekt begonnen hat. Jetzt streitet man, wem die Rechte gehören. An dieser Stelle haben wir unsere Mitarbeit eingestellt, wir wollen dort ja nicht irgendwann fünf Kölner Dome haben. Ich bedauere diese Entwicklung. Millionen Menschen auf der Welt werden ja nie die Gelegenheit haben, den Kölner Dom real zu erleben. In „Second Life“ hätten sie immerhin die Chance gehabt, ihn virtuell zu besuchen.
Als Sie in Ihr Amt kamen, wurden Sie als einzige Dombaumeisterin europaweit gefeiert. Sind Sie das?
Nein. Ich bin zwar vom Titel her die einzige Dombaumeisterin in Europa, aber meine Kolleginnen in Ulm oder Freiburg heißen Münsterbaumeisterinnen, weil die Kirche dort „Münster“ heißt. Und in Straßburg ist der Architecte en Chef de la Cathedrale auch eine Frau. Auch in Magdeburg. Sie sehen, ich bin nicht allein.
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