Jeder Schritt, jede Geste: ein Geräusch. Die Stimmen: verstärkt. Und der obligatorische Baum: ein Schatten. So viel Entfremdung war lange nicht. Regisseurin Luise Voigt scheucht das Personal von Samuel Becketts „Warten auf Godot“ in eine Distanz zu dem, was man erste und zweite Natur nennen könnte. Also auch zum eigenen Körper. Und auch wenn die Geräuschspur dieser Inszenierung in der Werkstatt des Theater Bonn vielfach nach Comic klingt, nach „Rrrumms!“ oder „Paaatsch!“, die Akustik erzählt von einem Kontrollverlust der Figuren auf der kleinen Bretterbühne vor einem Rundhorizont.
Die extreme Artifizialität des Abends hat jedoch ihren Preis. Luise Voigt schlägt alle zeitgenössischen Interpretationsangebote aus: Becketts Personal lässt hier weder an Flüchtlinge denken oder an Rapper (wie kürzlich in Hamburg). Wladimir und Estragon tragen in Bonn klassisch Melone zum schwarzen Anzug. Roland Riebeling als weinerlicher-trotziger Estragon lässt gelegentlich Stan Laurel anklingen. Klaus Zmorek dagegen gibt eher einen beflissen-ernsten Wladimir, der auch mal zum Lautsprecher wird.
Nur bei Daniel Stocks Pozzo gönnt sich die Autorin eine kleine Verdeutlichung: Die Schaftstiefel, die Bullenpeitsche und das wilde Geschrei, mit dem er den verschraubt unterwürfigen Lucky (Alois Reinhardt) herumkommandiert, lassen an Bilder eines Großgrundbesitzers zwischen „Django Unchained“ und „Queimada“ denken. Dass Pozzo allerdings zugleich Vogelschreie im Gespräch mit seinem Sklaven imitiert, macht die Sache komplizierter. Worauf Voigt damit zielt, bleibt in der immerhin dreistündigen Interpretation allerdings unergründlich.
„Warten auf Godot“ | R: Luise Voigt | 8., 21., 30.3. 20 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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