Akustisch ist der Abend eine Wohltat: Im Zentrum stehen zwar zwei abgehalfterte Schlagerstars, doch keine einzige akustisch überzuckerte Mehlspeise verklebt die Gehörgänge. Die beiden Scharteken des musikalischen Heile-Welt-Versprechens Frank und Claudia sind sowieso weit über ihr Haltbarkeitsdatum hinaus. Trotzdem plant Frank (Klaus Schweitzer) sein Comeback und schneit im grünen Glitzeranzug bei der derangierten Claudia (Birte Schrein) herein. Deren Rückzugsort ist eine völlig heruntergekommene Wohnung in einem Migrantenviertel, möbliert mit billigem Sofa und Sessel, Chipstüten auf dem Tisch, volle Aschenbecher und Alkoholreste (Bühne: Malte Lübben). Im Schlepptau hat Frank den so smarten wie zwielichtigen Manager Danni (Alois Reinhardt), der das Comeback der beiden als Geldmaschine und Sprungbrett für die eigene Karriere nutzen will.
Autor Lothar Kittstein macht aus der Wiederbegegnung eine Zentrifuge der Erinnerung. Aus dem Schleudergang der Reminiszenz könnten die Partikel herausgefiltert werden, die für ein Comeback des einst erfolgreichen Paares taugen. Es könnte aber alles auch ganz anders kommen. Das frühere Paar schenkt sich auch heute nichts. Claudia ist eine herumkeilende gealterte Diva im Tigerlook, die ihren Sarkasmus als Erfahrung verkauft. Frank dagegen ein gewalttätiger vertrockneter Beau mit Perücke. Kittsteins „Schlafende Hunde“ ist ein well-made play im besten Sinn, das Regisseur Stefan Rogge und das Ensemble mit allem psychologischem Feinsinn, vielschichtigen Charakterbildern und ohne diffamierenden Gestus auf die Bühne der Werkstatt bringen – und auch den Schuss Edward Albee am Ende nicht unterspielen: Zankapfel des Paars ist nämlich Claudias Sohn Dennis (Manuel Zschunke), der als empfindsamer Loser tagelang Computerspiele spielt. Frank vermutet in ihm seinen eigenen Sohn und macht ordentlich Stress. Als Dennis mit Manager Danni, der die Schnauze voll hat, das Haus verlassen will – bringt Claudia ihn kurzerhand um. Doch Frank und sie tun sich am Ende wieder zusammen und plötzlich purzelt auch das Söhnchen quicklebendig aus dem Schrank: Das heile Schlager-Familienglück ist perfekt.
„Schlafende Hunde“ | R: Stefan Rogge | keine Termine | Theater Bonn | 0228 70 80 08
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