Dezenter, ja höflicher Applaus beendet in der TanzFaktur die Abschlussinszenierung „Rage“ von Absolventen der Schauspielschule der Keller. Zu Recht hielt sich das Publikum in einer zu langen, mit überzeichneten Charakteren aufgeblähten, und, gemäß ihres Titels, zu braven Produktion mit Emotionen zurück. Die Dosismixtur aus künstlichem Adrenalin, Intellekt und Schwärmerei vermochte dabei keinen Sturm und Drang zu entfesseln.
Der Plot – eine Silvesternacht in der Stadt mit zu viel Alkohol, unheiligen Liebesschwüren, Liebesfrust, Sex, Zukunftsträumen und Widerstand gegen das biedere bis faschistische Establishment sowie seiner Schergen in Gestalt von Ordnungshütern – ist alles andere als neu. Das muss er auch nicht sein, doch die Umsetzung scheitert an den verzweifelten Versuchen, ebenjene Agonie über das Leiden jeder jungen Generation auf der Suche nach Selbstverwirklichung glaubhaft darzustellen. Das ist in erster Linie nicht den Darstellern anzurechnen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, sondern der schwachen Story an sich.
Inflationär erscheinen die Film-, Video- oder Theaterproduktionen, in denen die „Jungen Wilden“ durch endlose Partynächte tanzen, Drogenkonsum romantisch verklärt wird und die Wut gegen das vermeintlich kaputte System gegen den Siedepunkt strebt, um sich in einem Aufstand gegen die Obrigkeit zu entladen. Doch davon ist in „Rage“ nichts zu sehen. Stattdessen dehnen sich Dialoge wie Monologe über „fette Fotzen“, das Kotzen, grauenhafte Zustände des Gemüts und das Nichts als Summe aller Weisheiten Richtung Niemandsland aus, und gleichen darin einem Telefonat, in dem keiner dem anderen mehr zuhört.
Das ist freilich zu wenig für 90 Minuten. Gut wüten will gelernt sein. Auch das Bemühen um Humor misslingt in der Bearbeitung von Simon Stephens’ Werk. Zu gewollt wird da auf den Lacher gesetzt, der mitunter in Fassungslosigkeit umschlägt, wenn etwa das Skript ein „Erinnerungsfoto“ eines überwältigten Randalierers vorsieht, welches am schlechten optischen Eindruck des zu Fall Gebrachten scheitert. Die zynische polizeiliche Aufforderung zur Vorstellung einer heiteren Begebenheit quittiert das jugendliche Opfer respektive der Täter mit antisemitischen Äußerungen, um die Bildaufnahme zu boykottieren. Obgleich die Situation im Kontext des Stückes zu verstehen ist und reflektiert wird, bleibt das Gefühl einer völlig deplatzierten Instrumentalisierung zugunsten eines Effekts. Das mag man als provokantes literarisch-theatralisches Mittel auffassen oder schlichtweg widerlich finden.
Tatsächlich blitzen die Fähigkeiten des Ensembles an ganz anderer Stelle auf, wenn es etwa hypnotisch im Zeitlupentempo zu den Sounds von Live-DJ Yamila Lenzen als wogendes, begehrendes Kollektiv die Zuschauer fixiert. In diesen Momenten offenbaren die dann maskierten Figuren sowohl Rausch als auch Nachdenklichkeit, ja, gar Verletzlichkeit. Positiv hervorzuheben ist zudem das schlichte Bühnenbild aus brüchigen Palletten sowie einigen Bänken, das verdeutlicht, wie einfach es sein sollte, das Leben auch abseits vom inszenierten Glamour der Metropolen zu zelebrieren. Dennoch heißt die vernünftigste Problembewältigung für die Sinnsuchenden am Ende der Nacht: „Ab ins Bett!“ Neuer Tag, neue Tragödie. „Rage“ muss man nicht sehen, man lebt es besser selbst.
Rage | R: Volker Schmalöer | Theater der Keller | 26.1., 19.2. 20 Uhr | 0221 27 22 09 90
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