Wer lediglich auf Vernissagen und Premieren geht, dem erschließt sich vielleicht nicht, wie großzügig Kunsthallen, Konzertsäle, Theater, Kinos und Bibliotheken angelegt sind. Wie sehr sich Menschen in ihnen verteilen können, ja, hier erst ein Gefühl dafür bekommen, auf Abstand zueinander zu bleiben und die physische Privatsphäre zu beachten. Wie immens das Wissen ist, das sich an den Orten der Kultur erfahren lässt, wie differenziert gesellschaftliche Fragen aufgeworfen werden und für das Leben, für die Sprache und das Sehen sensibilisieren. Wie hoch der Bildungsanspruch und das Gemeinschaftsgefühl sind und dass Menschen an diesen Orten glücklich sein können, egal ob jung oder alt. Natürlich ist Kultur systemrelevant!
Kunst-Erleben mit Corona
Derzeit legen die Museen – wie auch die anderen Disziplinen – eins drauf: Sie erweitern ihr Programm ins Digitale und Virtuelle. Und sie verlängern die mit viel Aufwand und Begeisterung mit den Künstlern realisierten Ausstellungen in der Hoffnung, dass sie als Happy End doch gesehen werden können. Immerhin, die digitalen Angebote liefern Basisinformationen und vertiefen sie. War vor einem Jahr, beim ersten Lockdown, vieles improvisiert und ruckelig, so haben die Museen ihr Vorgehen inzwischen perfektioniert. Da sind die digitalen, jederzeit abrufbaren Eröffnungen – nur die Redner im Museum auf Abstand, mit den Kunstwerken, sonst niemand – etwa der Ausstellungen im Museum Ludwig in Köln (Andy Warhol) oder im Museum Küppersmühle in Duisburg (Hanne Darboven). Dazu kommen Gespräche und Diskussionen mit Experten während der Ausstellung, in denen das Publikum in Fragerunden zugeschaltet ist. Von Mal zu Mal gibt es „Führungen online“, einen „360° Rundgang“ und „digitale Workshops“.
Einzelne Ausstellungen lassen sich aber auch jetzt live sehen: durch die Fensterscheiben, etwa im Kölnischen Kunstverein der künstlerische Dialog von Jennifer Blightman und Dorothy Iannone, im Kunstmuseum Temporär in Mülheim die dokumentarische Präsentation zu Joseph Beuys oder im Museum Glaskasten in Marl die Sammlungs-Installation von Erika Hock. Die Kunsthalle Düsseldorf wiederum projiziert täglich zwischen 18 und 21 Uhr einen Film von Lutz Mommartz zu Joseph Beuys auf die Fassade.
NRW-Museen bemüht um Verlängerungen
Nicht jede Ausstellung lässt sich verlängern (da sind die Anforderungen der Leihgeber oder die Weitergabe an Folgestationen), und immer neue Hiobsbotschaften zum Lockdown schaffen immer neue Situationen. Froh sind wir, dass die Warhol-Ausstellung in Köln, Jawlensky (Kunstmuseum Bonn) sowie Max Klinger (Bundeskunsthalle) in Bonn noch einige Zeit zu sehen sind; Martin Kippenberger, der am 7.2. ohne Eröffnung eröffnet wurde, ist in der Villa Hügel in Essen bis Mai terminiert. Die Retrospektive zu Otmar Alt im Gustav-Lübcke-Museum Hamm ist bis Juni verlängert, „RESIST“ im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum läuft sowieso bis Mitte Juli. Die multimediale Schau mit dem Experimentalfilmer Lutz Mommartz in der Kunsthalle Düsseldorf wurde nun bis Ende April verlängert. Noch hoffen wir, dass die die ebenfalls aufgebaute Ausstellung „Vision und Schrecken der Moderne“ im Von der Heydt-Museum Wuppertal, die Ende Februar ausläuft, doch noch gesehen werden kann.
Vergessen werden darf bei all dem nicht, dass mit jedem geschlossenen Tag den Kunstinstituten wichtige Einnahmen verlorengehen und viele Mitarbeiter, etwa die Aufsichten und Transporteure, Aufbauhelfer, Grafiker und Gastkuratoren, von Job zu Job bezahlt werden – und es derzeit eben weniger Ausstellungen gibt.
Weitere wichtige Ausstellungen, die wir noch sehen möchten und die das eigentlich großartige Spektrum der Ausstellungsprogramme in NRW belegen, sind etwa die Bilder und Skulpturen von Rainer Fetting als Ausstellung des Museum Ostwall im Dortmunder U, die Foto-Sammlung Garnatz im Dialog mit der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur im Kölner Mediapark und die Ausstellung mit Caspar David Friedrich und der Spätromantik der Düsseldorfer Malerschule im Kunstpalast Düsseldorf. Ja, vielleicht sind Friedrichs Meisterwerke des frühen 19. Jahrhunderts mit ihrer sensationell feinen Malerei ein Beleg dafür, dass der Bildschirm niemals das Sehen vorm Original kompensieren kann. Kunst und Kultur gehören unmittelbar, sinnlich erlebt – wenn wir wieder dürfen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
First Lady Renate Gruber
„Kiss, kiss“ im Museum Ludwig
Mehr Solidarität wagen
Die Theater experimentieren mit Eintrittspreisen – Theater in NRW 01/23
Die Sammlung in neuem Licht
„Antikoloniale Eingriffe“ im Museum Ludwig
Ein Gemälde für Köln
Frank Bowling im Museum Ludwig
Fließende Formen
Isamu Noguchi im Museum Ludwig – Kunst in NRW 06/22
Geschichten eines Augenblicks
Museum Ludwig zeigt Werkschau „Voiceover“ – Kunst 03/22
Richter zu Ehren
Gerhard Richter im K21 und Museum Ludwig – Kunst in NRW 03/22
Erfunden für die Zukunft
„Pure Fiction“ im Kölnischen Kunstverein
Provokante Performance
katze und krieg im Museum Ludwig – Theater am Rhein 01/22
Verflechtungen der Wirtschaft
Minerva Cuevas mit großem Wandbild
Die Fakten zu den Bildern
Marcel Odenbach in Köln und Düsseldorf – Kunst in NRW 12/21
Von Hexen und Reptiloiden
Lothar Kittstein gibt Einblicke in „Angst“ – Premiere 11/21
Bäume und Linien
Piet Mondrian in Düsseldorf – Kunst in NRW 01/23
Forschungsstation Zivilisation
Andrea Zittel im Haus Esters Krefeld – Kunst in NRW 12/22
Zeitgeschichte als Skulptur
Reinhard Mucha in der Kunstsammlung NRW – Kunst in NRW 11/22
Zügige Gesten auf den Punkt
Martha Jungwirth in der Kunsthalle Düsseldorf – Kunst in NRW 10/22
Antennen in die Zukunft
„The Camera of Disaster“ in Mönchengladbach – Kunst in NRW 09/22
Chiffren des Leidens, des Widerstands
Berlinde De Bruyckere im Arp Museum Rolandseck – Kunst in NRW 08/22
Farben hinter Glas
Karin Kneffel im Max Ernst Museum des LVR – Kunst in NRW 07/22
Himmel und Erde
„Lygia Pape – The Skin of All“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/22
Menschen und Landschaft
Max Liebermann im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 04/22
Skulptur in Bewegung
Hamberg und Pousttchi im Arp Museum – Kunst in NRW 02/22
Öffentliche Orte
Mischa Kuball in Leverkusen und Marl – Kunst in NRW 01/22