Auch wenn der Besuch der Ausstellung – aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich sein sollte: Durch die Fenster an der Hahnenstraße sind nicht nur die Werke beider Künstlerinnen zu sehen, sondern der Betrachter erhält auch eine Ahnung von der Leichtigkeit und dem Rhythmus, mit dem der Raum aktiviert ist. Und er erfährt, mit welcher Offenherzigkeit und dabei Selbstverständlichkeit Privates und Intimes nach außen gekehrt und Fragen des Feminismus erörtert sind: als Teil des Alltags.
Beim Pressegespräch im Kunstverein berichtete Juliette Blightman, wie sie vor einigen Jahren anlässlich ihrer Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern erfahren hat, dass dort auch 1969 Dorothy Iannone – im Rahmen der „Ausstellung der Freunde“ – vertreten war, aber von einigen männlichen Künstlerkollegen zensiert wurde: Den Vorwurf der Pornografie musste Iannone, die heute 87-jährige, in Berlin ansässige Künstlerin oft in ihrer Karriere hören. Ärger gab es 1969 auch bei der Nachfolgestation in der Kunsthalle in Düsseldorf, wo Dorothy Iannone zu dieser Zeit gemeinsam mit Dieter Roth lebte. Die Ausstellung nun in Köln ist also auch eine künstlerische Rückkehr ins Rheinland, aber unter aufgeklärter Perspektive in einer offeneren Gesellschaft auf dem Weg zur Gleichberechtigung.
Zwischen Jugendstil und Pop Art
Tatsächlich zeigt sich nun, wie humorvoll und voller Freude die damals ausgestellten Tarot-Karten sind, die Iannone und Roth in Cartoons beim Geschlechtsverkehr zeigen und im übrigen das häusliche Umfeld einbeziehen. Sie besitzen die malerische Verspieltheit aus Mustern und Prunk zwischen Jugendstil und Pop Art, die das ganze Werk der aus Boston stammenden Künstlerin kennzeichnen. Die viel jüngere Blightman (*1980) erweist sich als wunderbare Teamplayerin, die mit einer filmischen Collage und einem Tableau mit Zeichnungen auf die Systematik der Tarot-Karten reagiert und ihren Arbeits- und Lebensalltag daheim in Farnham/England schildert: als etwas Offenes, nichts Abgeschlossenes.
Die Ausstellung setzt sich in den Raum fort. Iannones „Freiheitsstatuen“, die betonen, dass sie Frauen sind, treten als Wandmalereien sowie skulpturale Cut-Outs auf. Sie entstammen einem Projekt in New York 2014, bei dem sie als riesige Schablonen an Gebäudefassaden aufgebracht waren: Dort wie nun in den kleineren, aber immer noch großen Versionen tropft aus dem Auge eine Träne. Daneben stehen Blightmans Planschbecken mit Ensembles sich reckender Phalli, die bei Sonnenlicht mittels Reflektoren zu sprudeln beginnen, während Iannones Gesang zu hören und an der hinteren Stirnwand das Gedicht „The New Colossus“ der Dichterin Emma Lazarus an der Plakette der Freiheitsstatue zu lesen ist. Zu dieser zauberhaften Vielstimmigkeit passt Blightmans luftige Malerei einer „Pussy Flower“ mit Acryl auf Leinwand, die rückseitig von gefüllten Bierkästen gehalten wird. Der zarten, sich öffnenden Form einer Vagina ist der Männerkult der Junggesellenabschiede und Ballermann-Partys entgegengesetzt. Kurzum, von niemandem wird das Werk der schon legendären Dorothy Iannone für die Jetzt-Zeit fröhlicher, poetischer und tiefgründiger weitergesponnen als von Juliette Blightman.
The Köln Concert – Dorothy Iannone & Juliette Blightman | bis 31.1. [derzeit geschlossen] | Kölnischer Kunstverein | 0221 21 70 21
Zoom-Performance Hounds of Love von Juliette Blightman + Lily McMenamy: www.youtube.com/watch?v=cQBhX2ECWHg
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Erfunden für die Zukunft
„Pure Fiction“ im Kölnischen Kunstverein
In der Verlängerung beginnen
Museen zwischen öffnen und schließen – Kunst in NRW 02/21
„Kunstvereine müssen ihre Entdeckerfunktion ausüben“
ADKV-Vorsitzende Meike Behm über Kunstvereine damals und heute
„Ein anderes Land betreten“
Gastkuratorin Stefanie Klingemann über die Cologne Art Book Fair – Literatur 07/18
Frühstück mit Eminem
Alex Da Corte und Walter Price im Kölnischen Kunstverein – Kunst 04/18
Splitter möglicher Geschichte
Andra Ursuta im Kölnischen Kunstverein – Kunst in NRW 09/14
Großes Kino
Nathalie Djurberg und Hans Berg im Kölnischen Kunstverein – kunst & gut 05/14
Spiel mit dem Klang
„Trioesque“ in der Deutzer Brücke – Kunst 08/22
Lernen von der Natur
„KölnSkulptur #10“ im Skulpturenpark – kunst & gut 08/22
Aus dem Nachbarland
Dorothea von Stetten-Kunstpreis im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 08/22
Halt im heilenden Nirgendwo
Gerald Schäfer in der Galerie Daneben – Kunst 07/22
Nachtclub verschiedener Lebenswelten
„Queer without borders“ beim motoki-Kollektiv – Kunst 07/22
Kleine Wunder
Inge Schmidt in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 07/22
Gott und Nationalsozialismus
Theo Beckers Bilder im NS DOK – Kunst 07/22
Bilder aus der Verbotszone
Fotoausstellung ,,Now you see me Moria’’ – Kunst 06/22
Bunt ist oft nicht unpolitisch
„Farbe ist Programm (Teil 1)“ in der BKH Bonn – Kunstwandel 06/22
Sammlung ordnen
Porträt, Landschaft und Botanik in der Photographischen Sammlung – kunst & gut 06/22
(Neue) Dialoge zwischen Mensch und Natur
„Talk to Me – Other Histories of Nature” in der Temporary Gallery – Kunst 05/22
Die Enthüllung des Unsichtbaren
Suzie Larkes „Unseen“ im Stadtgarten – Kunst 05/22
„Den Menschen muss man sofort helfen“
Flaca spendet Einnahmen von Bild – Interview 05/22
Die ernste Heiterkeit des Tödleins
Harald Naegeli im Dialog mit dem Museum Schnütgen – kunst & gut 05/22
Schnappatmung der Kunst
„Die Welt in der Schwebe“ im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 05/22
Entlang der Silberspur
ADKDW: „Potosí-Prinzip – Archiv“ – Kunst 04/22
Aus dem Schatten ins Licht
Ein Abschied, ein Buch und andere Bilder im Käthe Kollwitz Museum – kunst & gut 04/22
Eine Ikone des Feminismus
Simone de Beauvoir-Ausstellung in der BKH Bonn – Kunstwandel 04/22