Es hätte alles so schön werden können. Die Einleitung für die abschließende Kolumne zur Frauen-WM war im Kopf längst geschrieben: „Gary Linekers berühmter Ausspruch gilt auch bei den Frauen: ‚Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen’“ – nach einem Sieg im Finale gegen Brasilien (gegen wen auch sonst?) und einem dramatischen Viertelfinale, in dem die Deutschen 0:1 gegen Japan zurückliegen, kurz vor Ende der Verlängerung der eingewechselten Birgit Prinz der Ausgleichstreffer gelingt und im anschließenden Elfmeterschießen Torfrau Angerer zwei Elfer der Japanerinnen hält. So hätten weitere Klassiker unter den Fußball-Binsenweisheiten ihre Bestätigung gefunden: „Die Deutschen gewinnen immer im Elfmeterschießen“ und „Deutschland ist eine Turniermannschaft“.
Das kommt nun dabei heraus, wenn Begriffe wie „Sommermärchen“ oder Slogans wie „Ein Team – ein Traum“ bemüht werden: Der Rücksturz in die Wirklichkeit fällt umso unsanfter aus. Offensichtlich sind alle, die davon überzeugt waren, dass die deutschen Frauen mindestens das Finale erreichen würden, einer Art von Autosuggestion erlegen (wovon der Schreiber dieser Kolumne sich nicht freisprechen kann). So richtig schlau gemacht über den aktuellen Leistungsstand der DFB-Elf hatte man sich nicht, die vielen Titel der letzten Jahre und die Ergebnisse in der Vorbereitung schienen eine eindeutige Sprache zu sprechen. Über mögliche Weiterentwicklungen anderswo hatte man sich nur oberflächlich informiert und analog zum Männerfußball einen Showdown zwischen Deutschland und Brasilien erwartet. Gefühlte Recherche, sozusagen. Und wer ist schon Japan? Nun, im Frauenfußball eine ziemlich große Nummer, genauer gesagt Platz vier der Weltrangliste. Doch da spielte unbewusst eine gewisse Rest-Arroganz gegenüber dem asiatischen Fußball mit, der zwar mächtig aufgeholt, aber bisher keine großen Titel errungen hat.
Nach dem Halbfinaleinzug der Französinnen und Schwedinnen finden nun die Olympischen Spiele in London 2012 ohne die DFB-Frauen statt. Angesichts des einer WM vergleichbaren Stellenwerts, den das olympische Frauenfußballturnier genießt, wiegt das Viertelfinale-Aus so doppelt schwer. Die nächste Chance zur Rehabilitierung wird es nicht vor 2013 geben, wenn die Europameisterschaft ansteht. Ansehen und Aufmerksamkeit, die der Frauenfußball hierzulande mühsam errungen hat, drohen ihm nun zumindest vorübergehend verlustig zu gehen. Da müssen die verhinderten Weltmeisterinnen jetzt durch.
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