In modernen Zeiten und bei immer erschwinglicheren Kosten haben sich Städtereisen beinahe als Volkssport etabliert. Aber auch in früheren Zeiten boten Reisen dem kulturell interessierten Bildungsbürgertum stete Erbauung – berühmt wurden die Reisen Goethes nach Italien oder Mozarts Reise nach Prag. Bei Musikern wie Mendelssohn blieb ab und an eine „schottische“ oder eine „italienische“ Sinfonie hängen und spiegelte die Erlebnisse in fernen Landen. Und manchmal traten neben die „äußeren“ Reisen die „innere“ Reisen in den Geist eines Landes oder einer Stadt. Um solche Reisen kümmern sich jetzt die Neue PhilharmonieWestfalen und Generalmusikdirektor Rasmus Baumann in ihrem 2. Sinfoniekonzert „Städtereisen“ mit Melodien verschiedener Großstädte aus dem Geiste eindeutiger Kenner.
George Gershwin wurde in seinem Orchesterstück „Ein Amerikaner in Paris“ berühmt für den Einsatz von vier gestimmten Taxihupen, um das Flair der Metropole abzubilden. Jahre zuvor hatte er bereits den Sound des Big Apples porträtiert, in seinem Klavierkonzert in F-Dur. Mit dem stilistisch breit aufgestellten Pianisten Frank Dupree reisen die Westfalen nach New York, um dem Sound der 20iger Jahre des letzten Jahrhunderts nachzuspüren, dieser Melange aus klassischem Konzert und fiebrigem Jazz, einer einzigartigen Mischung in diesem „Melting Pot“ der Kulturen. Gershwin begab sich damit wie schon andere vor ihm auf die Suche nach „der“ amerikanischen Musik – und wurde fündig.
Nach Südamerika entführt Astor Piazzolla in seinem „Tangazo“ – Variationen über Buenos Aires. Der Erfinder des Nuevo Tango schrieb diese Musik 1969, und das Temperament seiner Stadt gipfelt im erwachenden Tango, zu dem die konservativen Geigen zu Perkussionsinstrumenten mutieren – Klangbilder pulsierender Metropolen erfordern ausgefallene Mittel. So setzt auch Fazil Say in seiner „Istanbul Symphony“ auf Klangfarben seiner Heimat, er wählt türkische Originalinstrumente plus klassisches Orchester für sein Stadtportrait. Der Pianist und Komponist schrieb diesen musikalischen Brückenschlag zwischen Orient und Okzident für die Kulturhauptstädte Istanbul und das Ruhrgebiet. Und der politisch ambitionierte Say wäre nicht Say, wenn er nicht Fanatismus, Radikalismus und Fundamentalismus in Tönen geißele – der Präsident hält ihn im Auge.
2. Sinfoniekonzert „Städtereisen“ | Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen | 6.10. | Ruhrfestspielhaus, Recklinghausen | 7.10. | Konzertaula, Kamen | 8.10. | Kulturzentrum Herne | 9.10.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Verantwortlichkeit!
Das Jerusalem Quartet in Köln und Bonn – Klassik am Rhein 09/25
Aus anderer Sicht
„Cycles of My Being/Save the Boys“ in Bochum – Klassik an der Ruhr 08/25
Ein Fest der Kammermusik
Der Pianist Alexandre Kantorow in Wuppertal – Klassik an der Ruhr 07/25
Ein Bürgergeschenk
Kostenlose Konzerte in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 07/25
Ausgefallene Begegnung
Herbert Grönemeyer dirigiert in Bochum und Essen – Klassik an der Ruhr 06/25
Sackschwer
Zamus: Early Music Festival 2025 in Köln – Klassik am Rhein 05/25
Großer Auftritt zum Finale
Der Pianist und Dirigent Lahav Shani in Dortmund – Klassik an der Ruhr 05/25
Kindheit zwischen Flügeln
Anna Vinnitskaya in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 04/25
Entgegen der Erwartung
4. stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen – Festival 04/25
Über Glaubensfragen
Mendelssohns „Elias“ am Theater Krefeld-Mönchengladbach – Klassik an der Ruhr 04/25
Besuch aus Schweden
Nina Stemme singt Mahlers „Kindertotenlieder“ in Köln – Klassik am Rhein 03/25
Opernstar zum Anfassen
„Festival Joyce DiDonato & Friends“ in Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/25
Biografisch enggeführt
„Ganz Klassisch“ im Bochumer Anneliese Brost Musikforum – Klassik an der Ruhr 09/25
Lebendige Musikgeschichte
Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller in Köln – Klassik am Rhein 06/25