Manchmal möchte man schon gegen Windmühlenflügel kämpfen. Nicht nur weil sie recht reaktionslahm sind, sie halten auch regelmäßig eine ihrer vier Wangen hin, das Karussell dreht sich bekanntlich immer rund herum, dieser Kampf könnte langfristig also gewonnen werden. Insofern macht auch der zeitgenössische Anfang von Miguel de Cervantes‘ „Arme Ritter“-Geschichte (1605) in der Bonner Werkstatt Sinn. Es wird eine Inszenierung werden, die den Theaterbetrieb selbst durchleuchtet, die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wahn durchlöchert und dem Zuschauer zeigen will, wie nah Wahrheit und Lüge – Entschuldigung, alternative Fakten natürlich – beieinanderliegen, und das nicht nur im Feldbett der Geschichte.
Erst einmal lümmelt da Don Quijote (Manuel Zschunke) als geschasster Schauspieler Manuel im roten Bademantel in seiner winzigen Wohnküche. Noch ist die Bonner Oper in Sichtweite, doch sein anarchischer Realismus bei der Premiere von „Don Quijote“ kostete ihn Engagement und Selbstwert. Manuel zweifelt an der Jobbörse, am Theater, an der Video-Welt hinter dem Küchenfenster und wohl auch an John Lennons „Imagine“. Die Uhr steht 5 vor 12, das Finger-Messer Spiel lenkt nur bedingt von der postkapitalistischen Realität ab, erst mit dem Besuch von Kollege Hajo, der den Sancho Panza gespielt hat und noch im Engagement steht, lockert sich die Atmosphäre in der Küche etwas auf. Bier, Chips tun das übrige. Da wird noch einmal von der Übergriffigkeit gegen Theaterkritiker resümiert und der Vision eines Theaters ohne Zuschauer (da könnte dann echte Kunst entstehen) und dem Regisseur Terry Gilliam für 27 Jahre Durchhaltevermögen bei seinem Projekt „The Man Who Killed Don Quixote“ gehuldigt. Prost.
Das Verzweifeln an der Realität an allen Ecken und Enden der Welt ist der rote Faden der Inszenierung der Schauspieler Hajo Tuschy und Manuel Zschunke mit dem Musiker Jakob Suske, der sich auch die Regie mit Tuschy geteilt hat. Und da kommt Nebel auf und das leuchtende Kreuz weist den Weg in die Imagination. Die Wände wandern, das Schachbrettmuster des Bodens bleibt. Wie lebendig gewordene Spielfiguren werden sie hier agieren, für die Vision, für das Theater, gegen die Systeme auf allen Seiten. Der Schmerz wird zur Metapher, die Widersacher endlich zu den literarischen Windmühlenflügeln, und es wird brachial körperlich. Tuschy muss den Diener machen, den Esel, die Gegner, die Flanke, das Heer, den Wegweiser, alles auf einmal, während der Herr Ritter mit seinen Halluzinationen kämpft. Realismus wird ausgeblendet, wenn Kollege Hajo das bemerkt, wird es ungemütlich und blutig, und auch die Zuschauer werden als Heer attackiert – mit dem Küchensieb als Rüstungs-Helm, aber auch mit einem nagelneuen weißen Klavier, das Panza mühsam durch die Bühne zerrt. Musik bricht geschickt die Handlung und die dramaturgischen Vorgänge.
Bei so viel wilder Spielekstase fechten sich die beiden geschickt und schnell durchs bekannte Geschehen. Immer wieder assoziiert man Bezüge zum Tagesgeschäft und Theaterbetrieb – obwohl die ganze Welt vor und hinter dem Spiegel wohl in die Küche zu passen scheint. Ein gelungener Spaß.
„Don Quijote“ | R: Tuschy/Suske | Fr 29.9., Mi 11.10., Do 26.10. 20 Uhr | Theater Bonn, Werkstatt | 0228 77 80 08
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