Zerbrechlich ist das Leben, der Mensch ein Spielball des Schicksals, heißt es zu Beginn von Monteverdis 1640 in Venedig uraufgeführter Oper, einem in grellen Farben gezeichneten Lehrstück ganz im Sinne des barocken Welttheaters. Nicht in der hybriden Auflehnung, sondern in der Akzeptanz der göttlichen Ordnung findet der Mensch sein Heil. Im Himmel entscheidet sich, was auf Erden geschieht, der göttliche Ratschluss ist vernünftig und gerecht, so dass sich das Schicksal Odysseus und seiner Frau zum Guten wendet. Im Sinne dieser hoffnungsvollen Botschaft deuten Monteverdi und sein Librettist Badoaro den heidnischen Stoff von Homer christlich um.
Zwanzig Jahre war Odysseus fern der Heimat: Zehn Jahre verbrachte er im Trojanischen Krieg, zehn Jahre musste er in der Fremde umherirren, nachdem er den Sohn Poseidons tötete, er war Gefahren und Versuchungen ausgesetzt, denen er letztendlich widerstand. Es treibt ihn zurück nach Ithaka zu seiner Frau Penelope, die ihm treu blieb und auf seine Rückkehr hofft. Der Königshof, den Odysseus vorfindet, ist in einem desolaten Zustand, durchsetzt von Korruption und Vorteilsnahme, belagert von Freiern, die seine Frau bedrängen, um die Macht an sich zu reißen. Zeus ist aus dem Blickwinkel des 17. Jahrhunderts ein fortschrittlicher, aufgeklärter und liebender Gott, der das Allgemeininteresse über das Eigeninteresse stellt und Poseidon davon überzeugen kann, keine Rache an Odysseus zu nehmen. Am Ende erweist Zeus dem Helden Odysseus, der sich ebenso wie seine Frau als Mensch bewährt hat, seine göttliche Gnade und belohnt sie bereits im Diesseits mit himmlischen Freuden: Die Liebenden finden wieder zueinander, in dem berückenden Schlussduett besingen sie die Unsterblichkeit ihrer Liebe.
Doch inwiefern sind für uns heute Tugend, Moral und Glaubensstärke eines Herrscherpaares, dem „Hilfe von oben“ gewährt wird, noch glaubhaft? Die drastische Darstellung der ausschweifenden Unmoral am Hofe von Ithaka, das Verhalten der sich selbst bereichernden Freier, die schamlose Vorteilsnahme, scheint dagegen eine angemessene Darstellung gegenwärtiger politischer Zustände zu sein, man werfe nur einen Blick in Richtung Schloss Bellevue.
Aber gerade der Kontrast zwischen Ideal und Wirklichkeit macht das Stück aktueller denn je, denn es formuliert einen ethischen Anspruch, der heute noch relevant ist. Odysseus ebenso wie Penelope sehen sich eingebunden in einen übergeordneten Zusammenhang, der ihr Handeln und ihre Gesinnung bestimmt: Sie fühlen sich einem allgemeingültigen Ethos verpflichtet. Odysseus greift konsequent gegen die moralischen Verfallserscheinungen an seinem Hof durch und erringt dadurch irdisches Glück.
Monteverdi und sein Librettist zeigen am Ende das Ideal einer Herrschaft, die auf Liebe und Gesetz basiert. Und damit werfen die beiden Autoren am Ende eine für uns entscheidende Frage auf: Wie lange kann eine Gesellschaft überleben, in der sich immer weniger Menschen allgemeingültigen Werten verpflichtet fühlen? Denn letztendlich repräsentieren die Politiker die Verfasstheit einer ganzen Gesellschaft, in der ethische Grundsätze nur noch Lippenbekenntnisse sind.
„Il ritorno d’Ulisse in patria“ I 25.(P)/29.2. I Oper Köln I Palladium
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