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Theresa Hupp
Foto: Hans Diernberger

„Wir haben unseren eigenen Fujiyama“

27. April 2022

Theresa Hupp über „to those who wait“ – Premiere 05/22

Der Begriff vom Lockdown sagt es: Corona hatte viel mit Wegsperren und Stillstand zu tun. Was dann folgte war das endlose Warten, das immer noch nicht zu Ende ist. Die Choreographin und Performerin Theresa Hupp unter dem Label Sonder:Sammlung:3 hat das Stück „to those who wait“ erarbeitet, das jetzt seine analoge Premiere erlebt.

choices: Frau Hupp, inwieweit war für Sie Corona eine Zeit des Wartens?

Theresa Hupp: Das ist eine gute Frage. Eigentlich habe ich das Gefühl, dass es zwei unglaublich beschäftigte Jahre waren. Warten in dem Sinne, dass man also auf schlechte Nachrichten, auf Regelungen, auf Erlaubnisse wartete. Es war für mich keine Zeit des Verharrens. Christina Zajber allerdings, die wegen Muskelatrophie im Rollstuhl sitzt und auf der Bühne zu hören und als Videoinstallation zu sehen ist, saß, als wir anfingen zu arbeiten, schon ein Jahr in der Isolation. Und wir haben mit ihr nur in ihrer Wohnung und aus der Ferne gearbeitet. Für sie war es ein komplett anderes Jahr als für mich.

In welchen Zustand versetzt das Warten den Körper?

Das ist sehr individuell. Ich persönlich werde meist unwillig und bemerke, wie wenig ich in der Lage bin, mich nicht zu bewegen. Und ich fange sofort an, das Warten mit kleinen Bewegungen und mit Nachspüren zu kompensieren. Aber das liegt auch daran, dass ich ein sehr ungeduldiger Charakter bin. Wenn man über die Schwelle der Unwilligkeit drüber weg ist und der Geist anfängt zu wandern, dann fängt auch der Körper so ein bisschen an zu wandern. Man kann nicht still sein, wir vibrieren die ganze Zeit.

Das Warten verändert unser Zeitempfinden. Was bedeutet es, wenn man das Warten zum Thema auf der Bühne macht?

Ursprünglich war da die Überlegung da, der Sache mal richtig Zeit zu geben und die Zuschauer warten zu lassen. Wir hatten anfangs die Idee, diese Langeweile auch im Zuschauer zu evozieren und nicht nur das Warten abzubilden. Mit Corona geht das nicht, weil man Leute gar nicht so lange in einen Raum packen darf. Durch Corona mussten wir uns viel mehr darauf konzentrieren, wie man mit dem Warten umgeht. Wir haben uns für ein zyklisches Zeitempfinden entschieden. Es gibt zwar lineare Abläufe, aber letztlich weiß man nicht, wie oft die Figuren auf der Bühne das schon gemacht haben und ob sie das immer wieder machen.

Dazu passt das Bühnenbild, das eine Landschaft darstellt.

Die Bühne mit diesem monumentalen, unveränderlichen, über lange Zeit entstandenen Berg bildet für uns quasi einen zeitlosen Raum. Was darauf passiert, könnte schon seit 100 Jahren, aber auch jetzt gerade geschehen; die Figuren könnten schon 100 Jahre hier sein oder eben gerade erst angekommen sein. Wir haben unseren eigenen Fujiyama und unsere Fläche, die wir nicht verlassen können. Auf der Bühne stehen Stühle, das grundlegendste Möbelstück des Wartens. Man ist darauf gewissermaßen gefangen, immerhin hat man es wenigstens bequem, aber es ist eigentlich keine besonders gesunde Haltung fürs Verharren. Und dann gibt es eine Bühne neben der Bühne, da sitzt die Alleinunterhalterin des Abends, die Musikerin Oxana Omelchuk und wartet auch auf ihren Auftritt oder löst Sudoku, wenn sie nichts zu tun hat.

Gibt es eine spezifische Motorik des Wartens?

Das würde ich verneinen, außer dass die Bewegungen weniger willkürlich sind, eher unwillkürlich. Warten bedeutet ja, dass man erst mal in den Zustand des Stillstands versetzt wird. Äußerlich lässt man sich drauf ein, innerlich aber lehnt man sich dagegen auf. Stillstand ist Tod. Der Mensch ist dafür nicht gemacht, er kann nicht stillstehen. Wir haben uns viel damit befasst, wie man sich auflehnt, wie sich beschäftigt, wie man geistig am Start bleibt. Aber es gibt schon auch die Momente des Liegenbleibens. Wenn man über diese Schwelle drüber ist und akzeptiert, dass man nichts machen kann, kann das auch eine gewisse Freiheit und Entspannung bedeuten. Man öffnet sich und nimmt anders wahr. Aber was uns gesellschaftlich suggeriert wird, ist etwas völlig anderes.

Liegt im Warten auch ein subversives Moment, wenn man es als Kritik an gesellschaftlichen Idealen wie Leistungsbereitschaft, sinnerfülltes Leben, Konsum, Aktivismus versteht?

Für mich als Inspiration, das zu machen, auf jeden Fall. Das kam aus der Selbsterkenntnis, dass Pausen zu machen mir ein schlechtes Gewissen verursacht. Warten macht mich nervös, weil ich das Gefühl habe, ich muss aber noch ganz viel hinkriegen. Wenn ich aber dann in der Situation des Wartens bin, dann ist es eigentlich immer geil: Mir kommen so viele gute Gedanken, für die vorher kein Platz war. Das ist allerdings jetzt eher ein persönlicher Anlass als ein gesellschaftlicher.

Gibt es bestimmte körperliche Haltungen, körperliche Gesten, die spezifisch für das Warten sind?

Auf jeden Fall: Zum Beispiel dieses Zittern mit dem Bein, das Wippen mit dem Fuß. Es gibt diese klassische Haltung: Man sitzt und guckt irgendwann seine Hände an, sieht aber nichts. Irgendwann sieht man wieder seine Hände an, sieht aber immer noch nichts. Oder dass man ständig einfach umgreift, noch bevor es unbequem ist. Einfach nur, weil der Körper irgendwas machen will. Dann gibt es auch dieses sich unwillkürliche Strecken. Also da gibt es sehr viele Bewegungen.

Hat Warten etwas mit Faulheit zu tun?

Ich glaube nicht. Ob man warten muss, entscheidet man oft gar nicht selbst. Warten hat aber meistens Vorteile: Es bedeutet, nachdenken können. Und dann denken auf einmal alle Leute nach und dann kommen sie auf Ideen. Ich finde Faulsein super, ich bin allerdings furchtbar schlecht darin. Faulsein hört allerdings da auf, cool zu sein, wo andere Leute für einen arbeiten müssen.

Ihr Ensemble besteht ausschließlich aus Frauen: Warten Frauen anders als Männer? Warten Frauen auf anderes als Männer?

In der ursprünglichen Besetzung sind es vier Frauen auf der Bühne. Wir müssen jetzt einen Part umbesetzen und die neue Person könnte sich auch männlich definieren. Aber dadurch, dass wir bei den Proben vier Frauen waren, kommt eine gesellschaftliche Dimension des Wartens mit hinein: Von Frauen wird eine gewisse Contenance zum Beispiel erwartet, die wir dann mit einer leicht angespannten, und selbst erarbeiteten Geduld durchhalten. Frauen warten selbstverständlich auf anderes als Männer, zum Beispiel seit Jahrhunderten auf Gleichberechtigung in vielen Punkten. Frauen warten auf mehr, auf Möglichkeiten in beruflichen Bereichen. Dann kommen noch die individuellen Wünsche dazu. Ich würde auf jeden Fall sagen, dass es enorme Unterschiede gibt zwischen dem, was Männern offensteht, und dem, was Frauen offensteht, und dementsprechend gibt es auch längere Wartezeiten.

to those who wait | Choreographie: Theresa Hupp | 12.-15.5. | Orangerie Theater | 0221 952 27 08

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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