Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Rainer Gross, 4711, 2010, Öl und Pigmente auf Leinwand, 116 x 183 cm, Kölnisches Stadtmuseum, © R. Gross
Foto: Michael Wittassek

Humor dosiert

31. August 2017

Boecker, Gross und Niedecken in Bergisch Gladbach – kunst & gut 09/17

Das Gruppenfoto im Katalog der Villa Zanders ist ein Statement. Manfred Boecker, Rainer Gross und Wolfgang Niedecken stehen nebeneinander und reichen sich, die Arme über Kreuz, die Hände. Vorbild ist Boeckers fotorealistisches Gemälde „9 Freunde treffen sich“ von 1972. Dort handelt es sich freilich um neun ältere Herren in Anzug und Krawatte und ganz alte Schule. – Aber: Die Zeit stimmt. Und der Kontakt zwischen Boecker, Gross und Niedecken hat über die viereinhalb Jahrzehnte gehalten.

Manfred Boecker (geb. 1952), Rainer Gross (geb. 1951) und Wolfgang Niedecken (geb. 1951) kennen sich seit dem Studium an der Kölner Werkkunstschule in der Malklasse von Dieter Kraemer. Ein frühes gemeinsames Projekt der drei angehenden Künstler war ihre „Gruppe Schizo“, in der sie Ideen von Dada und von Fluxus mit dem speziellen Kölner Klima verbanden. Dazu passt der Kölsche Eierbecher „Ess fäddich“ (1973), als Ready-made, das nun auch in Bergisch Gladbach ausgestellt ist. Ein braunes Ei ragt aus einer aufgerichteten Kleenex-Rolle heraus. Die eine fragile Hülle kommentiert die andere. Und wenn man sich in diese Tisch-Skulptur eingesehen hat, entdeckt man vielleicht ein bisschen Kölner Dom und ein bisschen eine brennende Kerze.

Boecker, Gross, Niedecken waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Kölner Perspektive ermöglichte eine neugierig-kritische Sicht auf die avantgardistische Kunstszene im Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie mit Beuys einerseits und Polke und Richter andererseits. Die jungen Künstler griffen darauf frei zu, wobei in ihrer Malerei in diesen Jahren so etwas wie eine rheinische Pop Art dominierte, die aber durch reihende, und damit abstrahierende Verfahren und die Offenheit für die verschiedenen künstlerischen Medien durchkreuzt wurde. Als ganz spezielle Themen erwiesen sich für die jungen Künstler das Aufbegehren gegen den rheinischen Katholizismus und das allzu Bürgerliche. Die Musik und die Tätigkeit in Bands wurden wichtig. Zu einem wortwörtlich einschneidenden Erlebnis wurde der Aufbruch nach New York. 1972 hatte Rainer Gross in Köln den amerikanischen Maler Howard Kanowitz kennengelernt, der dort seinen Beitrag für die Documenta vorbereitete, und wurde von diesem als Assistent in New York engagiert, wo er sich ein eigenes Atelier einrichtete. Boecker und Niedecken folgten nach, kehrten nach einiger Zeit aber zurück nach Köln. So kommt es, dass Boecker und Niedecken später noch einige Gemeinschaftsarbeiten anfertigten, an denen Gross nicht beteiligt war.

Boecker wäre im Rückblick unbedingt als Hauptvertreter der deutschen Pop Art zu entdecken. Seine Malerei ist reich an teils schrägen Untertönen und privaten Erinnerungen, die in der Einzeichnung von Text und in ihren Grautönen die Klischees des Spießbürgerlichen thematisiert. Auch erfasst er den schauerlichen Ton der Springer- und der Hochglanzpresse. Die Mechanismen der Werbung greift auch Rainer Gross auf, der ausgehend vom lakonischen Realismus über die Jahrzehnte den Weg von einer barocken Figuration zur ungegenständlichen Malerei vollzogen hat – und augenzwinkernd in dieser ein Kölner Logo integriert.

Nachdem Wolfgang Niedecken schon in den 1970er Jahren mit Bildserien – in Form von Malerei – in Erscheinung trat, etabliert er sich in den 1980er Jahren als konzeptuell orientierter Künstler, der seriell mit Aspekten der Tagesaktualität und zu Kunstgeschichte und Städtebau arbeitet. Natürlich ist auch BAP ein Thema, weil es ein Thema der Zusammenarbeit der drei Künstler ist und zu etlichen Werken geführt hat. Von Boecker stammt das LP-Cover „Da Capo“ von 1988, das in der Villa Zanders als großformatige Acrylmalerei ausgestellt ist. Und gleich zu Beginn der Ausstellung ist eine weitere Ikone der Bandgeschichte zu sehen: der BAP-Altar, den Wolfgang Niedecken auf Konzerte mitnimmt und bis heute ausarbeitet. Biografische Hinweise, Motive der Stadt Köln und tiefgründiger Witz finden in der künstlerischen Form zusammen. Wie schon in den frühen 1970er Jahren: Man bleibt sich treu.

„Freunde treffen sich – revisited“ | bis 19.11. | Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach | 02202 14 23 34

THOMAS HIRSCH

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

Traditionen der Abstraktion
Martin Noël in Bergisch Gladbach

Alles aus Papier
Oskar Holweck im Kunstmuseum Bergisch Gladbach

Malen mit der Farbe
Rolf Rose im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 01/24

Farbsehen und Raumfühlen
Mechtild Frisch in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 07/23

Bücher ausstellen
„Bibliomania“ im Kunstmuseum Villa Zanders – kunst & gut 11/22

Kleine Wunder
Inge Schmidt in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 07/22

Leicht aus der Balance
Otto Nemitz im Kunstmuseum Villa Zanders

Der Mensch bei sich
Hede Bühl in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 03/21

Ein genaues, insistierendes Sehen
Reihe Ortstermin: Jutta Dunkel und Martin Rosswog im Kunstmuseum Villa Zanders – kunst & gut 10/20

Stühle in Schieflage
Im Überblick: der Universalkünstler Stefan Wewerka in der Villa Zanders – kunst & gut 03/20

Auf den Raum hin, mit den Künstlern
Sammlung Altmann und Howard Smith in der Villa Zanders – kunst & gut 08/19

Ein Rhythmus mit Filzstiften
Karlheinz Stockhausen in der Villa Zanders – Kunstwandel 12/18

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!