Mittwoch, 8. Juli: Einen ganz besonderen Abend konnten die Zuschauer im Filmforum am Kölner Dom erleben, als Claudia von Alemann hier als Deutschlandpremiere ihren neuen Film „Die Frau mit der Kamera – Portrait der Fotografin Abisag Tüllmann“ präsentierte. Die mit viel Herzblut und persönlicher Leidenschaft über einen Zeitraum von vier Jahren entstandene Dokumentation hat nämlich bislang noch keinen Verleih gefunden und kann deshalb nur in solchen Sonderscreenings gesehen werden. Claudia von Alemann („Die Reise nach Lyon“) war Abisag Tüllmann zum ersten Mal auf den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen 1965 begegnet, als dort mit dem Oberhausener Manifest Filmgeschichte geschrieben wurde. Mehr als 30 Jahre blieben die selbstbewussten Frauen miteinander befreundet, und schon wenige Tage nach dem Tod Tüllmanns im Jahr 1996 fasste von Alemann Pläne, einen Film über ihre Freundin zu drehen. Als Form der Trauerarbeit hatte sie damals zweieinhalb Stunden die für immer verlassene Wohnung Tülmanns gefilmt und so in ihrem damaligen Ist-Zustand konserviert.
Jene Bilder eröffnen nun in einer dreiminütigen Sequenz, die ohne jegliche Erklärung bleibt, von Alemanns Dokumentation „Die Frau mit der Kamera“. Eine mutige Entscheidung, die die Geduld des Publikums schon gleich zu Beginn fordert. Da die Regisseurin für die Realisation ihres Films keinerlei Unterstützung durch Fernsehanstalten erfuhr, wollte sie bei ihrem zum Großteil selbst finanzierten Projekt nun auch keinerlei Kompromisse eingehen. „Da mein Film noch nicht verkauft ist, möchte ich diese Eröffnungssequenz nicht schon in vorauseilendem Gehorsam auf die allgemein anerkannten Zuschauersehgewohnheiten zurechtkürzen“, erläuterte Claudia von Alemann im anschließenden Publikumsgespräch im Filmforum. Dass die Deutschlandpremiere ihres Films ausgerechnet hier stattfand, freute das „kölsche Mädsche aus Klettenberg“ ganz besonders, da sie die Spielstätte noch unter dem Namen Cinemathek und unter der Leitung des mittlerweile verstorbenen Helmut W. Banz gekannt und geliebt hatte. Nach der Uraufführung des Films im Goethe-Institut in Paris markierte diese Projektion auch für die Regisseurin selbst erst die zweite Sichtung auf großer Leinwand, was für sie ein sichtbar emotionaler Augenblick war. „Das liegt auch daran, dass ich nun auf der Leinwand einige Freunde wiedersehe, die gestorben sind, während ich den Film machte“, so die Regisseurin. Zu der langen Produktionszeit war es auch wegen eines schweren Unfalls gekommen, der von Alemann einige Zeit an den Rollstuhl fesselte und die Dreharbeiten teilweise zum Erliegen brachten. Umso wichtiger ist es der Filmemacherin, dass sie hier nun ihrer „großen Leidenschaft nachgehen und einen Fotofilm machen“ konnte.
Abisag Tüllmann hat als Fotografin einige historisch bedeutsame Augenblicke dokumentiert, von den Auschwitz-Prozessen in Nürnberg über das Oberhausener Manifest bis hin zur Beerdigung der RAF-Mitglieder Gudrun Ensslin und Andreas Baader. Auch den Frankfurter Häuserkampf in den frühen 70er Jahren hat Tüllmann fotografiert, von Alemann damals selbst in einem der schließlich abgerissenen Häuser gelebt. Eingewobene historische Filmaufnahmen stehen in „Die Frau mit der Kamera“ dabei stets im direkten Bezug zu den Fotodokumenten Tüllmanns. „Das war mir sehr wichtig, weil ich ein sehr strenger Mensch bin“, erläuterte die Regisseurin ihr Vorgehen. Abisags lebenslanges Engagement für die Frauenbewegung nimmt im Film vergleichsweise wenig Raum ein, weil sie als freie Fotografin von entsprechenden Aufträgen abhängig war. Trotzdem ließ es sich Tüllmann nicht nehmen, auf eigenes Risiko in Länder wie Algerien zu reisen, um die dortigen Zustände aufzunehmen, auch wenn nicht sicher war, dass sie ihre Arbeiten anschließend verkaufen kann. Einige der faszinierenden Ergebnisse sind nun in Claudia von Alemanns Film zu bestaunen.
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