Ehemann oder Philosophie, das sind die möglichen Zukunftspläne der beiden Schwestern Henriette (Celine Oberloher) und Armande (Leonie Houber). Erstere träumt von einer sinnlichen Zukunft mit Mann und Familie. Letztere folgt dem Vorbild der Mutter und stellt die Bücher über alles. Natürlich gibt es in Molières Lustspiel aus dem Jahr 1672 auch einen passenden Jüngling: Clitandre (Yannick Hehlgans) war erst verliebt in Armande, entschied sich dann aber – wegen besserer Erfolgsaussichten – für Henriette. Darüber trösten Armande auch keine Bücher hinweg, fühlt sich doch so ein Verehrer auch nicht schlecht an. Vor der Hochzeit gibt es aber ein Problem: Mutter Philamente (Judith May) hat das Sagen im Haushalt und wünscht sich den möchtegern-hochgeistigen Dichter Trissotin (Kai Mücke) zum Schwiegersohn. Vater Chrysale (Lena Urig) dagegen hat in der Ehe überhaupt nichts zu melden und gibt den ganzen Druck dann auch mal lautstark nach unten weiter.
Obwohl hier die Rolle der Frau überall Thema ist, war „Die gelehrten Frauen“ zum Erscheinen 1672 kein Stück, das sich explizit für die Frauenrechte einsetzte. Vielmehr machte sich Molière über das (Bildungs-)Bürgertum lustig. Darum duellieren sich hier hochnäsig auftretende Dichter, während sie von den Damen des Hauses angehimmelt werden. Unter der erfahrenen Regie von Christiane Bruhn und Janosch Roloff wird das in der Orangerie dann zur körperbetonten und actionreichen Komödie, die das junge Ensemble beeindruckend meistert. Fast wie beiläufig verweisen die famosen Tanzszenen (Körperarbeit: Claudia Holzapfel) dann doch auf die Emanzipationsgeschichte. Nahtlos verbinden sich auf der Bühne Pop (inklusive trashigem 90er-Techno) und Barock. Auch das (dreifache) Ende bietet eine Aktualisierung des Stoffes: die erhoffte Heirat wird für Henriette vielleicht doch nicht zum Traumzustand – jedenfalls nicht aus heutiger Sicht. Die Dramaturgie des Abends gelingt traumwandlerisch sicher, auch der letzte Knalleffekt zeigt Wirkung und das Publikum ist begeistert.
„Die gelehrten Frauen“ | R: Christiane Bruhn, Janosch Roloff | WA in Planung | Orangerie-Theater | 0221 952 27 08
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Wir haben unseren eigenen Fujiyama“
Theresa Hupp über „to those who wait“ – Premiere 05/22
„Mehr Empathie kann uns nützen“
Daniel Schüßler über „Camping Paraíso**“ – Premiere 03/22
Selbstbestimmte Avatare
„The One Next Door“ am Orangerie Theater – Auftritt 03/22
Waffen-Revue
„Feuerschlange“ in der Orangerie – Theater am Rhein 02/22
Im Land der Schnurrbärtigen
„Feuerschlange“ in der Orangerie – Prolog 01/22
„Unfassbar extreme Situation“
Coop 05 dramatisiert Richard E. Byrds Antarktis-Bericht – Prolog 12/21
Nie wieder alleine
„Pest vs. Robot“ am Orangerie Theater – Bühne 11/21
Ballett des Zorns
„Wut im Bauch“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 05/22
Kein Entkommen
„Mölln 92/22“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 05/22
Kurzer Prozess
Zuckmayers Drama am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 05/22
Kriechend durch das aufrechte Leben
„Die gelbe Tapete“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/22
Geometrie der Liebe
„Eltern outta space“ am Comedia Theater – Theater am Rhein 04/22
Trauerspiel in zwei Akten
„Nein zum Geld“ am Theater am Dom – Theater am Rhein 04/22
Präfaschistische Atmo
Filmklassiker im nö theater – Theater am Rhein 03/22
Die Naturgewalt Mensch
„Stürmen“ am Theater im Ballsaal – Theater am Rhein 03/22
Was vom Leben übrig bleibt
„Die Frau, die gegen Türen rannte“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 03/22
Lust am Untergang
„Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ am FWT – Theater am Rhein 03/22
Reich und depressiv
„Rettet den Kapitalismus“ – Theater am Rhein 02/22
Reliquien-Lego
Oliver Frljiçs neue Produktion – Theater am Rhein 02/22
Provokante Performance
katze und krieg im Museum Ludwig – Theater am Rhein 01/22
Trudeln im Raum
FWT zeigt „Chöre des Spekulativen“ – Theater am Rhein 01/22
Wolken sind aus <s>Poesie</s> Angst gemacht
„Störfall“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 01/22
Schaler Aufguss
Schauspiel Köln zeigt „Die Lücke 2.0“ – Theater am Rhein 12/21
Kapitalismustraining
„Agenda“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 12/21