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Emel Zeynelabidin neben einem Stück persönlicher Geschichte
Foto: Thomas Bläsen

Überholtes Frauen- und Männerbild

21. April 2015

Emel Zeynelabidin am 19.4. im „Erzählcafé“ im Haus der Geschichte in Bonn

Im Rahmen der aktuellen Ausstellung in der Willy-Brandt-Allee 14 „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ präsentierte das Haus der Geschichte einen besonderen Gast. Emel Zeynelabidi ist Autorin, ehemalige Vorsitzende eines muslimischen Frauenverbandes in Berlin und die Tochter von Dr. Yusuf Zeynel Abidin, der die deutsche Sektion der islamischen Gemeinschaft Millî Görüş gründete.

Zeynelabidin hat im Rahmen der 2003 aufkeimenden „Kopftuchdebatten“ in Deutschland journalistisch publiziert. Besondere Aufmerksamkeit erlangte dabei einer ihrer Artikel in der FAZ. In diesem Essay erörterte sie die in ihren Augen Unzeitmäßigkeit der Verhüllung bzw. des Kopftuchtragens – anhand einer wortgetreuen Koranexegese.

„Der Islam braucht die Auseinandersetzung mit den aktuellen gesellschaftlichen Lebensrealitäten“, äußerte sich die studierte Islamwissenschaftlerin und Anglistin später im Gespräch. „Damals hat sich die Frau verhüllt, als Distinktionsmerkmal von den Sklavinnen – doch ich frage mich: Von welchen Sklavinnen will man sich heute noch unterscheiden?“, so Zeynelabidin. „Es gibt eine weitere Stelle im Koran, die besagt, dass die Frau sich zu verhüllen habe, wegen ihrer Reize“, führte die Autorin weiter aus. „Doch liegt hier nicht ein überholtes Bild von Frauen – und vor allem auch von Männern zugrunde?“, fragte Zeynelabidin in die Diskussionsrunde.

Emel Zeynelabidins Vater kam 1961 nach Deutschland, somit hat ihre Biografie ebenfalls einen direkten Bezug zu der laufenden Ausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“, durch die die Besuchergruppe des Erzählcafés am Sonntag ebenfalls gemeinsam mit Zeynelabidin geführt wurde. Die Ausstellung behandelt die Geschichte der Migration in Deutschland seit den 1950er Jahren – und dabei vor allem die Geschichte der vielen „Gastarbeiter“, die in den Fabriken des aufkommenden „Wirtschaftswunders“ den Motor der Konjunktur ebenso fleißig mitankurbelten, wie die damaligen deutschen Arbeitskräfte .

„Mein Vater war allerdings als Akademiker eingereist – und hatte den Wunsch, dass seine Tochter hier studiert. Das allerdings als verheiratete Ehefrau“, erzählte Zeynelabidin im Anschluss an die Führung durch die Ausstellung, die übrigens auch ein persönliches Stück Lebensgeschichte der Muslimin ausstellt. „Das war mein Lieblingskopftuch“, so Zeynelabidin mit einem verschmitzten Lächeln. Das türkis-blaue Stück wird nämlich in einem der Glasschaukästen gezeigt. Und das durchaus als zeitgeschichtliches Stück des „deutschen“ Kulturguts.

Angesprochen auf ihre Motivation, warum sie sich im Jahre 2005 dann schließlich gegen das Kopftuch entschieden habe, greift die Autorin auf ihre Zeit vor diesem Beschluss zurück. „Ich bin im Islam aufgewachsen, ich war es 30 Jahre gewohnt, ein Kopftuch zu tragen. Ich habe es gerne getragen – bin aber heute froh die ‚Kopftuch-Phase‘ beendet zu haben“. Zeynelabidin spricht von einer „Zweckentfremdung der Verhüllung“ in der Jetzt-Zeit. Sagt aber für sich auch klar: „Mit dem Kopftuch habe ich sicher nicht meinen Glauben abgelegt“.

Zeynelabidin machte sich am Sonntag für einen progressiven Islam stark. „Glaube ist für mich auch Liebe, Hingabe – allerdings ist Religion oftmals instrumentalisiert worden von Politik und Machtinteressen im Laufe der Geschichte. Heute leben wir 1400 Jahre später als Muslime in Deutschland, in einer anderen Form der Gesellschaft“, argumentierte Zeynelabidin, da seien neben der Kopftuchdebatte auch andere Fragen von aktueller Relevanz.

„Ich wünsche mir einen offenen Dialog – dass man hinterfragt, warum wir uns heute noch an das Verhüllungsgebot halten sollten – oder warum nicht“, äußerte sich Zeynelabidin weiter. Am 23. April um 19 Uhr zeigt das Haus der Geschichte den Dokumentarfilm „Hüllen“, der sich mit der Lebensgeschichte von Emel Zeynelabidin auseinandersetzt. Auch hier wird sie wieder anwesend sein – und gerne zur Diskussion bereitstehen.

Thomas Bläsen

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