„Aber bitte ohne den Sportteil“, schallt es von einem der Fotografen, als Oberbürgermeisterin Henriette Reker am Donnerstag, dem Tag nach der peinlich versemmelten Weltmeisterschaft, die tagesaktuellen Zeitungen für die Nachwelt in den Grundstein für das „MiQua, LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln“, deponierte. Der Name, hervorgegangen aus einen Wettbewerb, ist ein Kunstwort aus „Mitten im Quartier“ und der „Mikwe“, dem jüdischen Ritualbad im Ausgrabungsareal; nicht überall stieß es auch wegen der sperrigen Unterzeile auf Begeisterung. Wie überhaupt die Bebauung der Fläche zwischen dem Wallraf-Richartz-Museum und dem historischen Rathaus, der sich viele Stimmen widersetzten – Köln sei ohnehin überall zugebaut, es fehle die Luft und der Blick auf die umliegenden Gebäude.
So auch Peter Busmann, einer der Architekten des Komplexes Philharmonie/Museum Ludwig. Er hatte einen Deckel mit einem Zugang in die historische Unterwelt gefordert, vielleicht inspiriert von Verona, wo der Passant auf dicken Glasscheiben über die römischen Reste der Stadt flanieren kann. Vergebens. Allerdings war dieser Platz zu allen Zeiten immer zugebaut; hier lag das jüdische Getto, hier waren u.a. die Kölner Goldschmiede zu Hause.
Das sieht allerdings der Architekt Prof. Wolfgang Lorch vom Büro Wandel Lorch Architekten, Saarbrücken, ganz anders: „Das neue Museum steht nicht auf dem Platz, sondern bildet den neuen Platz.“ Die Oberbürgermeisterin meint in ihrer Ansprache: „Nirgendwo in NRW wird jüdische Geschichte so erlebbar sein wie im MiQua. Hier wird etwas sichtbar, was bislang nicht sichtbar war.“ Dem pflichtet der Landesvater, Premierminister Armin Laschet bei: „2000 Jahre Stadtgeschichte und 1700 Jahre jüdisches Leben in Köln. Wichtig für das ganze Land. Das Judentum ist hier Teil unserer Identität.“ Er äußert die Hoffnung, dass die zunehmenden antisemitischen Stimmungen damit aufgefangen werden könnten.
Es ist nicht zu leugnen, dass die geplante Via Culturalis vom Dom über das Römisch-Germanische Museum und über die romanische Kirche Maria im Capitol bis zum Ubiermonument durch das MiQua für eine ganz wesentliche Bereicherung erfährt: Römische, mittelalterliche und jüdische Geschichte werden am Originalort präsentiert. Durch die Ausgrabungen, die temporär mit Sand verfüllt wurden, um darüber eine Schutzdecke bauen zu können, soll ab 2021 ein 600 Meter langer Weg durch die städtische Historie begehbar sein, sozusagen eine Stadt unter der Stadt. In der Etage darüber werden wesentliche Exponate zum Judentum in Köln ausgestellt, wie etwa der Amsterdamer „Machsor“, eine kürzlich erworbenen illuminierte hebräische Handschrift aus dem 13. Jahrhundert, die jetzt in ihre „Heimat“ zurückkehrt. Das benachbarte Prätorium, die Fundamente des römischen Stadthalterpalastes unter dem neuen Rathaus, wurde nach dem Krieg entdeckt und glücklicherweise erhalten; es wird an das MiQua angeschlossen. Der gesamte Komplex ist nördlich der Alpen einzigartig und dürfte die Strahlkraft der Stadt Köln noch einmal erheblich vergrößern.
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, stellvertretender Vorsitzender des späteren Museumsbetreibers LVR, des Landschaftsverbandes Rheinland, dankte dem Land NRW für die erklecklichen Zuschüsse zum Projekt. In seiner launigen Ansprache verglich er das MiQua mit dem berühmten Museum MoMa in New York: „Darunter tun wir´s nicht, wir sind schließlich selbstbewusste Kölner.“ Natürlich hatte es im Vorfeld heftige Diskussionen um Bau und Betrieb des Museums gegeben. Die kölsche Lösung: Die Stadt ist Bauherrin für 77 Mio. € und das LVR ab 2021 der Betreiber. Auch hier hat es eine ordentliche Bauverzögerung und saftige Preissteigerung gegeben, bedingt durch nicht vorhersehbare archäologische Anforderungen. Aber wie sollte es in Köln auch anders laufen.
Der Grundstein selbst, ein Kalkstein, wie er auch am Dom zu Reparaturzwecken verwendet wird, ist ein Beitrag der Dombauhütte; Steinmetzmeister Markus Heindl erläuterte unter Beobachtung seines Chefs Dombaumeister Peter Füssenich sein Werk, dessen Verhüllung standesgemäß von einem Kran zuvor hochgezogen war. Er wird allerdings nicht wie üblich in das Gebäude verbaut, sondern bleibt sichtbar. Ob nachfolgende Generationen die Zeitungen, die Baupläne, die Münzen, die mittelalterliche Schiefertafel, das römische Ziegelfragment und den verschmolzenen Glasgegenstand, Relikt aus den Bombennächten, jemals wieder herausholen werden, bleibt offen. Zumal alle Ehrengäste die Platte, mit denen der Grundstein verschlossen wurde, mit einem Steinmetzhammer ordentlich festgeklopft haben.
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