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Meryem Erkus vor dem Gold+Beton
Foto: Jan Schliecker

„Angewandte Stadtentwicklung von unten“

29. Juli 2021

Stadtaktivistin Meryem Erkus über den Ebertplatz – Interview 07/21

Meryem Erkus ist freie Kuratorin, Stadtaktivistin in Teilzeit und in zahlreiche städtische Kulturprojekte involviert – etwa als Mitgründerin des inzwischen geschlossenen Projektraums Baustelle Kalk, aus dem das Label Baumusik hervorging, als Vorstandsmitglied des KulturNetzKöln e.V. oder als stolzes Mitglied im Zentralkomitee des antifaschistischen Karnevalvereins Rutfront Fastelovendsbund. Am Ebertplatz betreibt Erkus seit 2013 die Galerie GOLD+BETON und setzt sich als Vorstand des Brunnen e.V. für aktive Bürgerbeteiligung an der städtebaulichen Umgestaltung ein.

Die Debatte um eine Zuschüttung des gesamten Platzes wird seit 2017 wieder verschärft geführt, vor allem SPD und FDP sprechen sich dafür aus. Lange galt die Zuschüttung als einzige Variante, bis dahin wurde eine Zwischennutzung durch Projekträume, Galerien und Bars vereinbart. Wir sprechen über die Entwicklungen seit März 2021 und wie die nächste Phase der Zwischennutzung aussehen könnte, die im Herbst beschlossen wird.

choices: Mery, im März beschloss der Stadtrat, dass nicht nur beide Varianten der Platznutzung geprüft werden sollen – Zuschüttung und Offenhaltung – sondern im Anschluss auch ein Wettbewerbsverfahren unter Öffentlichkeitsbeteiligung ausgeschrieben wird. War diese Entscheidung ein Erfolg für Brunnen e.V. und die Zwischennutzer?

Meryem Erkus: Ja, wir haben jahrelang dafür gekämpft, dass überhaupt beide Varianten in die Planung einbezogen werden. Diese Offenheit in der Entwicklung hatten wir schon 2017 gefordert, damals wurde uns aber von der Stadt aber zweierlei gesagt: Öffentlichkeitsbeteiligung ist nicht drin, arbeiten mit dem Bestand ist auch nicht drin, vergesst es. Als in der Ausschreibungsvorbereitung überhaupt von zwei Varianten die Rede war, waren wir schon erleichtert, dass das offiziell zur Debatte stand. Dass dann dieser skandalöse Mindchange bei den Grünen stattfand [einige Parteimitglieder verlangten im März, wie von SPD und FDP gefordert, nur noch die Variante der Zuschüttung zu prüfen – Red.] und wieder alles umgeworfen werden sollte, hat uns am Ende in die Karten gespielt. Wir, der Brunnen e.V., der Bürgerverein und der Bund Deutscher Architekten haben zehn Tage lang protestiert, offene Briefe an die Fraktionen und den Stadtentwicklungsausschuss geschrieben und uns mit allen Fraktionen in Zoom-Krisensitzungen getroffen. Im Ergebnis ist der Planungsprozess jetzt so offen, wie wir es uns vor drei Jahren gewünscht hatten. Damals mussten wir noch für die Prüfung beider Varianten zu kämpfen, jetzt sind wir bei einem offenen Wettbewerbsverfahren und Öffentlichkeitsbeteiligung gelandet, was ursprünglich nicht einmal zur Debatte stand. Erst durch den Schritt der Grünen gab es eine Art Ventil, das uns erlaubt hat, in einen ernsthaften inhaltlichen Austausch mit der Stadt zu treten.


„Fries TV“ auf dem Ebertplatz
Foto: Jan Schliecker

Für die nächste Phase der Zwischennutzung ist eine Art städtisches Labor geplant. Wie kann man sich das vorstellen?

Das Reallabor könnte man als angewandte Stadtentwicklung von unten bezeichnen. Jetzt soll es um richtige Datenerhebung gehen. Seit 20 Jahren findet Kultur und soziokulturelles Programm am Ebertplatz statt, das aber immer eher kleinteilig angelegt war. Mit einem Archivprojekt wollen wir diese praktischen Recherche- und Forschungsarbeit, die schon stattgefunden hat, aufarbeiten und ein für die Stadtentwicklung konkret anwendbares Zukunftsmodell entwickeln. Dafür möchten wir auch neue, größere Konzepte ausprobieren, da befinden wir uns gerade in der Beschlussfindung. Angedacht ist eine große Kooperationen zwischen Brunnen e.V., den Nutzer:innen des Ebertplatzes, der Stadtverwaltung und Hochschulverbänden. Zwei Jahre lang möchten wir stark ortsbezogen forschen, mit dem Bestand und für die Menschen am Ebertplatz arbeiten. Was kann man etwa mit der Passage noch alles machen? Was passiert, wenn wir testweise die Zugänge schließen oder alternative Auf- und Abgänge schaffen, wenn wir alle Räume gleichschalten würden oder durch Hängekonstruktionen neue Räume schaffen? Wir wollen sozusagen unseren eigenen Bestand prüfen, den Bestand der Nutzer:innen und Menschen vor Ort: Was gab es schon, was wurde ausprobiert, was könnte es geben? Es gab schon so viele Ansätze und Konzepte, die sich mit Raum und dem Ebertplatz als städtischem Ort beschäftigt haben, zum Beispiel die Kunstbasis Ebertplatz von Stefanie Klingemann oder die European Kunsthalle, die als Reaktion auf den Abriss der Josef Haubrich Kunsthalle gegründet wurde, hat zeitweise in den Räumen des heutigen Gold-Beton gearbeitet, und am Ebertplatz mit Stellwänden den Grundriss einer potentiellen neuen Kunsthalle abgesteckt. Der Ebertplatz wurde schon von allen Ecken und Kanten heraus bespielt, die Dokumentationen und Ergebnisse solcher Projekte wurden aber nie in einem Großen, Ganzen zusammengebracht. Brunnen e.V. wird darum eine eigene Recherche-AG gründen und eine Art Wissens-Pool eröffnen, der Hochschulverband der Architekten will sich in Kooperation mit uns dem Ebertplatz als Forschungsthema widmen. In der nächsten Nutzungsphase machen wir mal richtig „Care for the Platz“. Wir wollen alle Potentiale austesten und diesen Ort, der uns sowieso vertraut ist, noch näher kennenlernen.

„Es steht am Ebertplatz richtig viel an“

Was sind, neben diesem großen Konzept, konkrete Programmpunkte in der nächsten Zeit?

Gerade bemühen wir uns darum, dass Fries TV – das LED-Band, auf dem wir Texte und Videoarbeiten zeigen – noch bis in den August hinein hängen kann. Im Gold+Beton gab es im Juli die Eröffnung von Nicholas Grafia und Mikolaj Sobzcak. Im Rahmen der von der Stiftung Kunstfonds geförderten Ausstellungsreihe „WELL* am Ebertplatz“ zeigen wir den gesamten August über die Ergebnisse unseres Open Calls: Neben einer auf Artistic Research fokussierten Station in der Gemeinde Köln und einer Kollaboration zwischen einer Theaterkompanie und Musiker:innen im Mouches Volantes soll es im Gold+Beton eine Gruppenausstellung geben. Außerdem ist für August und September eine Fortführung der Donnerstagskonzerte am Ebertplatz geplant, für die wir uns mit anderen Veranstalter:innen zusammengetan und die entsprechenden Anträge beim Kulturamt gestellt haben – und am 2. September ist schon wieder unser Season Opening. In den nächsten Monaten steht am Ebertplatz also richtig viel an.

Nicholas Grafia, Mikolaj Sobzcak | bis 8.8. | GOLD+BETON
WELL* am Ebertplatz | August | GOLD+BETON, Mouches Volantes, Gemeinde Köln
Season Opening | 2.9. | Ebertplatz

Interview: Mia Hofner

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