Ich bin der Tod. Leider habe ich keinen guten Ruf: Ich werde ständig beleidigt. Mal heißt es, ich sei hässlich wie die Nacht. Auf Teufel komm raus werde ich mit einem Teufel verglichen. Langweilige Pfarrer versuchen stets eine ach so persönliche Geschichte zu erzählen, nur weil mal wieder jemand ins Gras gebissen hat. Dabei kennen sie diese Person null, bevor jene polternd in ein anonymes, wenngleich extrem teures Grab mit Sarg und einem traurigen, standardisierten Schrott-Kreuz darauf geworfen wird. Dass jene bei nur 1,5 Quadratmetern klaustrophobische Angstattacken bekommt, ist nicht erstaunlich.
Ich selbst, der Abgang, muss dann wieder die Omma beruhigen, sagen: „Jaja, Hedi, das wird schon wieder. Atme mal ein- und aus. Ein bisschen Lach-Yoga machen. Dann geht es bestimmt wieder aufwärts“, während jene den hässlichsten Holzdeckel aller Zeiten aus ihrer unbequemen angewinkelten Schockstarre für die Ewigkeit anstarrt und ja eigentlich gar nicht mehr atmen kann. Und das, obwohl ihre Verwandtschaft sowieso nicht vorbeikommt, um sich das Trauerspiel anzusehen. Die haben nämlich schon, bevor die Omma den Löffel abgab, keinen Bock mehr auf sie gehabt. Deshalb haben sie sie auch nicht im Hospiz besucht, in das sie am Ende geworfen wurde. In Wahrheit haben sie ihr den Löffel längst vorher aus der Hand gerissen. In dem Moment nämlich, als Hedi gerade genüsslich ihren allerletzten Schmand-Joghurt löffeln wollte. Die haben das nur nicht gesagt. Denn: In Deutschland wird ja alles totgeschwiegen, sobald es peinlich werden könnte.
Apropos: Während in anderen Ländern das Ableben auch mal funky gerockt wird, wird in der BRD auch das Ende total tabuisiert. Man darf überhaupt kein Wort über den Sensenmann verlieren, sonst kriegt man sofort selbst eins mit der Sense übergezogen. Dann ist der Tod tot. Neulich ist mir das wieder passiert. Da musste ich tatsächlich wiederbelebt werden. Oder aber der Sarg, indem man schon Body an Body gemeinsam mit Hedi liegt oder mit 17,5 Hedis, wird aus Spar- und Platzgründen in der Mitte auch noch durchgesägt, um dann in irgendeinem doofen Beerdigungsunternehmen an der Ecke für viel Geld verhökert zu werden. Dann muss ich insgesamt 17,5 Hedis beruhigen, trage 100 blaue Flecken davon und bekomme Durchblutungsstörungen von der Hockstarre. Ja, das ist doch nicht zu glauben. Wieso geht das denn nicht ein bisschen schöner, so wie in Holland, wo ich wenigstens ab- und zu als Ballon fröhlich durch die Luft fliegen darf? Oder so wie in Japan, wo ich als Rakete lustig in die Luft geschossen werde? Da geht wenigstens die Post ab beim Sterben. Hier: Niente.
Nicht mal seinen Hund darf man hier im Vorgarten begraben. Da kommt sofort das Amt. Gewaltsam werden die Gebeine des verstorbenen Wauzis aus dem Garten der Omma, die nix Anderes mehr hatte, entrissen und in Stücke zerhackt. Bevor sie schließlich mit einer Nummer versehen in ein leidiges Hundefundbüro gegeben werden. Parallel dazu wird der verstorbene Heinz, den sie heimlich in einer Urne mit sich rumgeschleppt hat – auch noch brutal entrissen und entsorgt, während die Omma weinend ins Gefängnis geworfen wird. Kostenpunkt für den Prozess: rund 350.000 Euro. Was ist denn das für eine Gesellschaft? Aber aktive Sterbehilfe schräg beäugen. Vielleicht denkt ihr mal drüber nach, wenn mal wieder einer das Zeitliche segnet. Wir sehen uns spätestens beim Ins-Gras-Beißen!
Euer Tod
Hinweis: Wenn Sie depressiv sind oder Selbstmord-Gedanken haben, wenden Sie sich bitte umgehend an die Telefonseelsorge: im Internet unter www.telefonseelsorge.de oder unter der kostenlosen Hotline 0800-111 01 11 oder 0800-111 02 22. Hier helfen Ihnen Berater, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.
Schöner Sterben - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
Aktiv im Thema
mdr.de/sachsen-anhalt/landespolitik/sterbehilfe-gesetzeslage-was-ist-erlaubt-100.html | Der MDR erklärt in ausführlichem Beitrag, was bei der Sterbehilfe erlaubt ist und was nicht.
drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe/einfuehrung-und-grundlegende-begriffliche-unterscheidungen | Das Deutsche Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften über Sterbehilfe.
daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videos/sterbehilfe-video-100.html | ARD-Dokumentation über einen MS-Patienten, der für seine Selbstbestimmung kämpft.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Selbstbestimmung bis zum Schluss
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben
„Das Angebot erzeugt eine Nachfrage“
Gesundheitsethiker Theo Boer über aktive Sterbehilfe in den Niederlanden
Entscheidungsfreiheit oder Kindermord? – Vorbild Belgien
Das umstrittene Sterbehilfe-Gesetz
Die Würde des Sterbens ist antastbar
Harald Mayer will selbstbestimmt sterben, Jens Spahn lässt ihn aber nicht
Sparkapsel
Stolze Männer (voran!) - Glosse
Pardon, wie wichtig ist Ihnen Aura?
Eine absurde Glosse über museale Raubkunst und Walter Benjamin
Äff den Mann nach
Zur Gleichberechtigung in kleinsten Schritten – Glosse
Schweißlos vernetzt
Demokratie und Überforderung im World Wide Web – Glosse
Plastik-Perversion
Die verheerenden Auswirkungen des Plastikproblems – Glosse
Geliehene Jugend
Meine WG, meine drei Nebenjobs, mein Gebrauchtfahrrad – Glosse
Vom Winde versorgt
Nachhaltige Energien im Diskurs – Glosse
Teutonisches Kopfnicken
Auf der Suche nach einer Identität zwischen Verbrechen und Klischees – Glosse
Der Marktplatz der Religionen
Vom Mit- und Durcheinander der Religionen – Glosse
Digitaler Segen
Von wegen harmlose Katzenvideos – Glosse
Die große, alte Seltene Erde
Die Mächtigste von uns allen ist unser Planet. Und seine Rache wird grausam sein – Glosse
Mord im Dunkeln
Lasst Tote sprechen – Glosse
Aus Sicht des Betroffenen
Was kein Schmerz aushält – Glosse
Von Bäumen und Bräuten
Der moralische Wankelmut der Menschen – Glosse
Auf der Firmenfeier von Deutschland
Wo Kritik an den Medien auf diverse Betrachtungsweisen stößt – Glosse
Demokratie heißt Wahlfreiheit. Kapitalismus auch
Wenn Zukunftsvisionen sauer aufstoßen – Glosse
Fünf Welten, ein Virus
Warum es auf den Standpunkt ankommt – Glosse
Die Zeit der hirnfressenden Besserwisser
Bald in einem Krankenhaus in Ihrer Nähe? – Glosse
Erschreckende Eruption der Egos und Emotionen
Meinungen mit Fäusten vertreten, nicht mit Argumenten
Frauen gegen Männer?
Zwischen Feminismus und Antifeminismus – Glosse
Das „Expanded Universe“ der Sinneswahrnehmung
Mehr Freude dank mehr Sinnen