Weihnachten und Ostern? Lächerlich! Es war, als würden Karneval, Dortmunder Loveparade und Großdemo auf einen Tag fallen. Hunderttausende begeisterter Fans säumten die Straßen vom Borsigweg bis zum Stadion an der B1, um den Deutschen Fußballmeister 2011 zu feiern. Während am Tag zuvor, am Tag, als zum siebenten Mal in der Vereinsgeschichte der BVB die Schale ausgehändigt bekam, die Spieler noch wie kleine Jungs feierten, sich gegenseitig und auch alle anderen mit Dortmunder Pils bespritzten, wirkte die Mannschaft auf dem Festwagen wie auf einem Abiball. 20-jährige in schwarzen Anzügen sehen nun mal nicht anders aus.
Noch wichtiger als der vor zwei Wochen errungene Punktsieg, der den Dortmundern letztlich den Titel sicherte und das doch noch offene Rennen mit Bayer Vizekusen entschied, war für viele die Tatsache, dass eine junge Mannschaft gegen die Millionäre aus München siegen konnte. So wird in diesen Tagen von den Verantwortlichen im Verein immer wieder betont, dass man bescheiden bleiben müsse. Ungern erinnert man sich nämlich an die Jahre, die der doppelten Meisterschaft 1995 und 96 folgten. Durch die enormen Einnahmen - kein Junge nördlich von Nördlingen konnte damals ohne BVB-Bettwäsche einschlafen - wurde man zur ersten Aktiengesellschaft des deutschen Profifußballs und damit schlichtweg größenwahnsinnig. Das Stadion wurde verkauft, um genauso viel Geld auf der Bank zu haben wie der Rekordmeister, wohlgemerkt nicht auf dem festverzinslichen Konto einer Großbank sondern auf der Ersatzbank am Spielfeldrand. Die Erfolge blieben damals natürlich aus. Um das inzwischen durch Ausbau erweiterte größte Stadion des Landes voll zu bekommen, mussten Karten in den trüben Jahren teilweise schulklassenweise verschenkt werden. Der Pleitegeier kreiste furchteinflößend über dem damals noch so genannten Westfalenstadion.
Während für die Fremdenlegionäre aus der bayrischen Landeshauptstadt eine Meisterfeier in den letzten Jahren zu einer fast schon lästigen Pflichtveranstaltung zum Saisonende verkommen ist, wird in Dortmund wirklich gefeiert. Die Zeit, in der die masochistischen Charakterzüge des Fußballfans gefordert wurden, ist in der westfälischen Metropole nun vorbei. Einen großen Anteil an diesem neuen Höhenflug des schwarz-gelben Phönix hat natürlich Jürgen Klopp, der modernste Fußballlehrer der Nation. Klopp ist Pop. Auf einem Warhol-Poster würde er kaum auffallen. Klopp ist nicht nur ein guter Spieltaktiker und als Persönlichkeit eine wichtige Führungspersönlichkeit für die jungen Spieler, er ist der Star des Vereins. Bei der Verkündung der Mannschaftsaufstellung schreien sich die 80.000 Fans bei der Nennung des Trainernamens die Kehlen wund. Bekloppt sei das, wortwitzeln die Beobachter schon seit Wochen.
Aber nicht nur er, auch die Mannschaft machte den Erfolg. Es waren die großen Gesten auch am Sonntag wieder zu sehen. Der 33-jährige Dede, Dortmunder Urgestein aus Brasilien, wurde von den fast halb so alten Mannschaftskollegen verehrt und verabschiedet wie ein sehr, sehr großer Bruder, der die Familie verlässt. Der wichtigste Spieler allerdings war in dieser Saison allerdings der berüchtigte 12. Mann. Die Fans des BVB machten diese Meisterschaft erst möglich. In kaum einer anderen Region ist Fußball so sehr in der Bevölkerung verwurzelt wie im Ruhrgebiet. Da ist es auch gar nicht schlimm, wenn ein abgehalfterter Politiker wie Peer Steinbrück, der unbedingt Kanzler werden möchte, sich als BVB-Fan vor die Kameras drängt. Sogar unsere Landesmutter war übrigens bei der Feier anwesend und hatte in diesem Falle gar nichts gegen die Farbenkombination Schwarz-Gelb einzuwenden.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Ein letzter Gruß
Das Hagen Quartett verabschiedet sich vom Kölner Publikum – Klassik am Rhein 11/25
Ein vergessener Streik
„Baha und die wilden 70er“ am Kölner Comedia Theater – Musical in NRW
Wachsende Szene
Das 5. Festival Zeit für Zirkus startet in NRW – Tanz in NRW 11/25
Liebe gegen alle Widerstände
„Roméo et Juliette“ in Krefeld – Oper in NRW 11/25
Singende Fische
„Die Frau ohne Schatten“ am Theater Bonn – Oper in NRW 11/25
Über Macht und Identität
Die Herner Tage Alter Musik 2025 – Klassik an der Ruhr 11/25
Die Geschichten in einem Bild
Gregory Crewdson im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 11/25
Motor mit edlem Klang
Dave Holland in der Essener Philharmonie – Improvisierte Musik in NRW 11/25
Angenehm falsch
„Wiener Blut“ am Essener Aalto-Theater – Oper in NRW 10/25
Offene Erwartungen
Das „Rheingold“ an der Oper Köln – Oper in NRW 10/25
Jede Menge bunter Abende
Wilder Programmmix in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 10/25
Jenseits üblicher Klänge
Das Multiphonics Festival 2025 in Köln und Wuppertal – Improvisierte Musik in NRW 10/25
Tanz gegen Kolonialismus
„La Pola“ im Rautenstrauch-Joest-Museum – Tanz in NRW 10/25
Gemalte lebendige Natur
„B{l}ooming“ im Wallraf-Richartz-Museum – Kunst in NRW 10/25
Günstige Städtereisen
Die Neue Philharmonie Westfalen tourt durchs Ruhrgebiet – Klassik an der Ruhr 10/25
Biografisch enggeführt
„Ganz Klassisch“ im Bochumer Anneliese Brost Musikforum – Klassik an der Ruhr 09/25
Verzweifelte Leidenschaft
„Manon Lescaut“ an der Oper Köln – Oper in NRW 09/25
Das Leben in seinen Facetten
Wolfgang Tillmans in Remscheid – Kunst in NRW 09/25
Verantwortlichkeit!
Das Jerusalem Quartet in Köln und Bonn – Klassik am Rhein 09/25
Wissen in Bewegung
Das Sachbuch „Die Philosophie des Tanzens“ – Tanz in NRW 09/25
Zusammenprall der Extreme
„Der Goldene Drache“ von Peter Eötvös am Theater Hagen – Oper in NRW 09/25
Vater des Ethiojazz
Mulatu Astatke im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 09/25
5 Jahre plus Zukunftsmusik
Die Cologne Jazzweek feiert kleines Jubiläum – Improvisierte Musik in NRW 08/25
Musikalische Region
Das Originalklang-Festival Fel!x 2025 in Köln – Klassik am Rhein 08/25
Komme ich gut an?
„It‘s Me“ im Tanzmuseum des Deutschen Tanzarchivs Köln – Tanz in NRW 08/25