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Mit Gottes Segen gegen CETA?
Foto: Mario Müller

CETA: Schrecken ohne Ende

26. Februar 2016

Info-Veranstaltung zu Freihandelsabkommen in der Lutherkirche – Spezial 02/16

Das Freihandelsabkommen TTIP hat in recht kurzer Zeit traurige Berühmtheit erlangt. Der geplante Vertrag zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten provoziert Kritik und Proteste, wo er nur vorgestellt wird. Weniger bekannt ist dagegen CETA, das Abkommen der EU mit Kanada. Das wird gerne als "kleiner Bruder" von TTIP bezeichnet, was dem Ganzen aber nicht gerecht wird.

Um die Bürger über CETA zu informieren, lud am Mittwochabend das breite Kölner Bündnis in die Lutherkirche ein. Die war gut besucht, das Podium war prominent und auch inhaltlich vielversprechend besetzt. Die Lobbyistin Pia Eberhardt von Corporate Europe Observatory (CEO) ist seit Jahren in Brüssel gegen Freihandelsabkommen aktiv und warnt insbesondere vor den Schiedsgerichten. Diese könnten kanadische Firmen nutzen, um jeden europäischen Staat auf entgangene Gewinne zu verklagen – etwa bei Verschärfungen der Gesetze zum Verbraucherschutz. Ebenso könnten das amerikanische Firmen tun, sie bräuchten dazu nur eine Zweigstelle in Kanada. Was vier von fünf amerikanischen Firmen bereits besitzen.

Sie macht zu Beginn klar, dass es schon sehr spät ist für den Protest gegen CETA. Der Unterschied zu TTIP ist nämlich: Der Vertragsentwurf von CETA ist seit 2014 fertig ausgehandelt, er kann im Internet komplett gelesen werden – und er soll in diesem Jahr noch zur Abstimmung vorgelegt werden. Das macht ihn aus Sicht der Veranstalter so gefährlich, denn inhaltlich ist CETA eine Kopie von TTIP – allerdings ohne die Änderungen, die durch die Proteste der letzten Monate noch erreicht werden könnten. Ein einziges Zugeständnis gibt es: Aktuell laufen Nachverhandlungen der Europäischen Kommission zum Thema der Schiedsgerichte.

Eine verbleibende Möglichkeit des Protests ist die Verfassungsklage. Eine solche wird im Moment vorbereitet, und zwar von einem weiteren Gast dieses Abends. Prof. Dr. Andreas Fisahn ist Verfassungsrechtler an der Universität Bielefeld. Seiner geplanten Klage können sich alle Bürger kostenlos anschließen. Fisahn hat sich auch das Vertragswerk von CETA näher angeschaut. Selbst für den Juristen scheint das sehr kompliziert formuliert zu sein. Angesichts des Aufbaus mit Querverweisen über mehrere Kapitel, Unterkapitel und Anhänge glaube er nicht, dass irgendjemand die ganzen 1600 Seiten auf dem Schirm habe.

Einen ähnlichen Eindruck schildert der dritte Gast des Abends, Rainer Plaßmann von den Stadtwerken Köln. Der arbeitet sich schon länger durch das gesamte Werk. Internationale Verträge gehören eigentlich nicht in das Aufgabengebiet der Stadtwerke. Aber die befürchteten Auswirkungen des Abkommens ändern das gerade. Plaßmann bestätigt die Komplexität des Vertrags, zählt fehlende Schutzmechanismen auf und spricht sogar von absichtlichen Unklarheiten und systematischen Fehlern.

Worum es ganz konkret für Kölner Bürger geht, wird nun deutlicher. Der große Bereich der sogenannten Öffentlichen Daseinsvorsorge steht vor der Gefahr, durch die Pflicht zur internationalen Ausschreibung immer mehr privatisiert zu werden. Während einige Bereiche wie die Wasserversorgung geschützt sein sollen, gilt das schon nicht mehr für das Abwasser, die Müllentsorgung, die öffentlichen Verkehrsmittel, die Stromnetze. Auch Krankenhäuser und Gefängnisse sollen sich dem Marktwettbewerb stellen. Für all diese Bereiche gilt: Selbst falls sie zunächst geschützt sein sollten – sobald eine Marktöffnung einmal eingeführt wurde, gibt es laut Vertrag kein Zurück mehr.

Sichtlich unwohl wird es einigen Besuchern ob der vielen trüben Aussichten. Liegt es daran, dass man hier nur die eine Seite hört, die protestierende? Das war an diesem Abend zu erwarten, schließlich machte schon der Titel der Veranstaltung klar: „Für Demokratie und Sozialstaat: CETA verhindern!“ Die Stimme der Gegenseite fehlt an diesem Abend. Spätestens bei einigen Nachfragen des Publikums, denen Unglauben und Verzweiflung deutlich anzumerken sind. „Welcher Volksvertreter will das und warum?“, fragt eine ältere Dame. Prof. Fisahn versucht darauf zu antworten und nennt auf der einen Seite die Gewinner des Abkommens in der Wirtschaft: Das seien ausschließlich die großen Konzerne. Und er nennt geopolitische Strategien. Die Verträge führten zur Sicherung der Privilegien reicherer Länder gegenüber den Ländern des globalen Südens. Als Folge sagt Fisahn einen noch größeren Druck auf die armen Länder voraus, die nicht Teil der Verträge sind. Und damit verbunden noch größere Flüchtlingsbewegungen.

Nach aktuellem Stand der Dinge soll CETA bereits Ende 2016 in Kraft treten. Die Europäische Kommission wird darüber entscheiden, ob die gewählten Vertreter der einzelnen EU-Länder überhaupt darüber abstimmen müssen. Doch selbst wenn nicht, wenn das Abkommen nicht als ein „gemischtes Abkommen“ eingestuft wird, soll CETA schon vorläufig in Kraft treten.

Auch einige wenige positive Nachrichten sind von dieser Veranstaltung mitzunehmen. Ein breiter Protest gegen die Schiedsgerichte ist entstanden, der auch zu neuen Bündnissen geführt hat und weiter führen kann. So sind im Fall von CETA die kanadischen Bürgerbewegungen schon viel aktiver als die europäischen. Auf beiden Seiten des Atlantiks zieht man allerdings am selben Strang. Und Rainer Plaßmann von den Stadtwerken erwähnt in einem Nebensatz, dass (Frei-)Handelsabkommen durchaus ein Mittel wären, um Handel fair zu gestalten – wenn sie auf anderen Grundlagen entwickelt würden.

Möglichkeiten der Beteiligung:
26./27.2.: Stategiekonferenz in Kassel | www.ttip–aktionskonferenz.de
23.3. 19.30 Uhr: Plenum des Kölner Bündnisses | Allerweltshaus | no-ttip-koeln.de
30.4.: Tanz gegen TTIP in Köln

Mit einer Vollmacht kann man sich der Verfassungsklage anschließen.

Mario Müller

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