Seit jeher gilt Köln, begünstigt durch die Aktivitäten des WDR, die renommierte Musikhochschule im Stadtzentrum und das bürgerschaftliche Engagement als lebendiger Standort für Neue und Alte Musik. Gleichwohl sich von lokalpolitischer Seite nicht selten mit diesem kulturellen Aufgebot gebrüstet wird – ringt die freie Musikszene, Förderinitiativen wie freischaffende Künstler – seit Jahren um Subventionen des Landes. Der Vorwurf mangelnder Investition, jüngst hervorgebracht vom Initiativkreis Freie Musik, ein im Jahr 1999 zusammengeschlossener Verbund aus Kölner Ensembles und Veranstaltern, fand auch im Programm der diesjährigen Kölner Musiknacht einen prominenten Platz. Als Auftakt der Konzertreihe des IFM diskutierten Vertreter aus Kunst und Politik über die „Unfreiheit der freien Musikszene“ und streiften dabei nicht zuletzt die Frage, wie viel uns Kultur überhaupt wert ist.
Das erste Wort im kulturpolitischen Forum des WDR3 ergreift Daniel Mennicken, Sprecher des Initiativkreis Freie Musik: „Die Kölner Musiknacht wurde von Anfang an als eine durchaus politische Veranstaltung gegründet.“ Deren diesjähriges, deutlich verknapptes Programm zeige, „wieviel Kultur leistbar ist, wenn mit 150 Euro Gage noch nicht einmal die Hälfte der bei solchen Veranstaltungen üblichen Honorare gezahlt werden“. Bestätigend fügt Flötistin und Honorarprofessorin Evelin Degen an, freie Musiker seien oftmals vor erhebliche Probleme der sozialen Absicherung gestellt, die etwa auch die Künstlersozialkasse nicht immer abdecke: „Am Ende des Arbeitslebens finden sich Künstler teilweise auf Sozialhilfeniveau wieder.“
Mit dem Prekariat der freien Künstlerschaft konfrontiert, bekräftigt der einzige geladene Vertreter aus der Landespolitik Oliver Keymis (Bündnis 90/Die Grünen), die neue Landesregierung habe in ihrem Koalitionsvertrag eine Anhebung des Kulturetats von jetzt 200 auf 300 Millionen Euro festgeschrieben. Der Sprecher des Ausschusses für Kultur und Medien sieht in NRW eine „einzigartige Kulturregion“, deren Dialog zwischen freier Musikszene und Kulturverwaltung sich zunehmend, auch dank des jüngst vorgelegten Kulturfördergesetzes, verbessert.
„Neigung zur Gratiskultur“
Inwiefern aber jenes Gesetz die Bedürfnisse der freien Musikszene selbst fördert, bleibt für Mennicken fraglich. Er befürworte „die prozentuale Verkopplung des Kulturetats mit der freien Szene“. Barbara Foerster, Leiterin des Kulturamts Köln, merkt zudem an, dass eine rein finanzielle Investition wesentliche Stellschrauben ausspare. Vielmehr seien auch strukturelle Erwägungen zu ziehen, etwa eine Änderung des Lärmschutzgesetzes, die Vereinfachung von Genehmigungsverfahren im öffentlichen Raum. So sei „Investition in Kultur auch immer eine Investition in die Gesellschaft“.
Ob dies in Anbetracht einer „Neigung zur Gratiskultur“, wie Moderator Michael Köhler fragt, überhaupt allgemeiner Konsens sei? „Was macht freie Kultur überhaupt“– Köhler zögert für einen Moment mit dem Begriff – „systemnotwendig“? Beinahe zum Ende der sechzigminütigen Podiumsdiskussion ist es Oliver Keymis, der mit seiner Antwort das Gespräch wiederholt auch über den Rahmen lokaler Politik hinaus anstößt: In Zeiten der Globalisierung, Rohstoffknappheit und Überpopulation besäße kreatives Talent einen bislang vielleicht unerreichten Stellenwert. So sei „genau wie der Straßenbau, Kultur und Kunst ein grundlegendes Bedürfnis unserer Gesellschaft“.
Mit diesen erbauenden Worten am frühen Abend im Museum für Angewandte Kunst begann schließlich auch an elf weiteren Spielstätten die Kölner Musiknacht. Dass diese in diesem Jahr auch über ihr Kulturengagement hinaus mit einer besonderen politischen Brisanz aufwartete, bewies etwa die interdisziplinäre Kooperation „Klangvermessung Belfast-Dublin“ im Turm der Lutherkirche. Die eindrucksvolle Klanginstallation, der ein Konzert der Komponistin Oxana Omelchuk folgte, widmete sich über fünf Etagen dem Thema europäischer Außengrenzen.
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