Full Metal Jacket
USA, Großbritannien 1987, Laufzeit: 116 Min., FSK 16
Regie: Stanley Kubrick
Darsteller: Matthew Modine, Adam Baldwin, Vincent D'Onofrio
In einer Welt voll Sch***e
Matt513 (238), 22.07.2017
Fast die Hälfte von Stanley Kubricks Werk thematisiert den Krieg. Schon mit dem Erstling Fear and Desire hatte der junge Regisseur früh sein Thema. Und mit Napoleon wäre ja fast noch ein weiterer hinzugekommen. Krieg als regelmäßiger Schauplatz menschlicher Abgründe bildete geradezu die ideale Bühne für sein Hauptthema, nämlich das Erforschen der menschlichen Verfassung; der Mensch als Sklave widerstreitender Emotionen und Anschauungen, mithin Opfer der eigenen Unzulänglichkeit.
Nach Wege zum Ruhm, der gemeinhin als Antikriegsfilm gilt (und wegen seiner kritischen Sicht auf das französische Offizierskorps jahrelang in Frankreich nicht gezeigt wurde), hatte Kubrick einen ‚richtigen‘ Kriegsfilm im Blick. Die Schockwellen, welche Apocalypse Now seit den abgelaufenen 70er Jahren in die amerikanische Gesellschaft gesendet hatte, waren verebbt, warum also nicht den Vietnam-Krieg als Rahmen? Es ist bekannt, daß Kubrick ganze Bücherschränke als Vorbereitung konsumierte, bevor er überhaupt zu schreiben bzw. zu drehen begann. Dieser konservative Arbeitsstil zusammen mit seiner Angewohnheit, Szenen dutzende Male neu drehen zu lassen, zog die Fertigstellung in die Länge. Stone, der zur selben Zeit Platoon drehte, bekam Wind von Kubricks Vorhaben, forcierte das Tempo und stellte seinen Film als Erster in die Kinos. In der öffentlichen Wahrnehmung ging der actiongetriebene, mit 4 Oscars prämierte Platoon (man denke an die ikonische Szene mit einem „gekreuzigten“ Dafoe) als der filmische Kommentar der 80er Jahre zum Thema in die Annalen ein. Und Kubrick, der große Pfadfinder des Kinofilms, wirkte mit seinem Monate später veröffentlichten Vietnam-Film geradezu wie ein Epigone.
Unvermeidlich für einen Regisseur wie Kubrick, der sich im Kern stets für das Befinden seiner Figuren interessierte, setzt FMJ den Meißel aber viel tiefer an, nämlich neben der Dehumanisierung im Krieg selbst auch den Prozeß dorthin darzustellen. Wie üblich beobachtet er lediglich, ohne zu moralisieren. Binnen weniger Filmminuten wird aus jungen, menschlichen Individuen kahlgeschorenes, anonymes Geschmeiß, gewissermaßen die erste Stufe. Schieres, durchzuwalkendes Menschenmaterial in den Händen der Ausbilder, dessen einziger Zweck werden soll, zum rechten Moment zu töten und gefälligst nicht ohne Erlaubnis zu sterben. Über Lee Ermeys Leistung als Drill Instructor muß hier nichts mehr geschrieben werden; er schuf die Referenz schlechthin zum Thema. Wobei Gunnery Sergeant Hartmans Vortrag an manchen Ecken so aberwitzig ist, daß man nicht weiß, ob man betreten sein oder lachen soll. Sein Trommelfeuer von Beleidigungen und Erniedrigungen ist die nächste Stufe, das unbrauchbare Menschliche aus dem Material zu verbannen, welches sodann auf die Kriegsschauplätze in Fernost verschifft wird. Der Drill im Schlamm sowie das kollektive Bestrafen des ganzen Zuges sind weitere. „Wenn Ihr Ladies meine Insel verlaßt, (…) seid Ihr Priester des Todes“, ruft er. Dies so drastisch darzustellen ist Kubricks großer Beitrag zum Thema.
Sodann beginnt der Film regelrecht erneut. Unter (ans Londoner Set importierten) Palmen scheint er, von zeitgenössischen Songs begleitet, nun entspannt, spielerisch, geradezu satirisch. Doch der Eindruck täuscht; Kubrick hält an seinem Sujet fest, verpackt dieses aber fortan subtiler. In Hartmans Priestern des Todes stecken dieselben jungen Kerle vom Beginn des Films, welche jedoch den Wert menschlichen Lebens aus den Augen verloren haben.
Grinsend baut sich Joker vor der Kamera auf, schwärmt von Vietnam, der Perle Südostasiens, daß er die Angehörigen einer alten Kultur treffen – und töten!, der Erste in seiner Nachbarschaft mit einem bestätigten ‚Kill‘ werden wollte. Im ersten Teil des Films waren bei ihm Ansätze von Zivilcourage, mithin eines rebellischen Wesens zu erkennen. Von ihm hätte ich am ehesten eine kritische Auseinandersetzung mit dem Morden erwartet. Doch wie weggewischt; stattdessen regiert die große Schnauze. Immerhin, die Absurdität seines Handelns erklärt er mit der Dualität des menschlichen Wesens, ein Thema wie für Kubrick gemacht. Crazy Earl nennt diejenigen, welche am selben Tag von seinem Zug getötet wurden, das Beste, was sie je trafen. Danach gäbe es womöglich niemanden mehr, der es wert wäre, erschossen zu werden. Göttern gleich, sieht er die seinen mit dem Gewehr in der Hand über die Erde schreiten. Triumphierend grinst er nach mehreren Abschüssen. Das ist pure Überheblichkeit. Rafterman geht fast einer flitzen, als er eine Frau erschießt, Angehörige der Vietcong zwar, aber eine Frau. So wie sie selbst in ihrer Ausbildung entmenschlicht wurden, so entmenschlichen sie diejenigen, die ihnen in den Weg geraten, indem sie ihnen das Recht zu leben abtrennen. Obschon Kubrick Gefallen an den teils epischen Kampfszenen hatte, lebt sein Film vor allem von diesen leisen, sprachlos machenden Einzeldarstellungen. Angesichts der Kriegsverbrechen an der asiatischen Zivilbevölkerung, über welche teils bis heute nicht gerichtet wurde, machen diese Szenen besonders betroffen. Am Schluß ziehen sie sich vom Schlachtfeld zurück, das fröhliche Lied vom Mickey Maus-Club auf den Lippen. Haben diese Bürschchen überhaupt an sich herangelassen, was sie taten, im Film wie im wirklichen Leben?
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