Come on, Come on
USA 2021, Laufzeit: 114 Min., FSK 6
Regie: Mike Mills
Darsteller: Joaquin Phoenix, Gaby Hoffmann, Woody Norman
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Gefühlskino auf Augenhöhe mit Kindern
BlahBlahBlah…
„Come on, Come on“ von Mike Mills
Der zwölfjährige Hopper Mills ist der Sohn der Künstlerin, Autorin und Regisseurin Miranda July („The Future“, „Kajillionaire“) und des Grafikdesigners und Filmregisseurs Mike Mills. Ein Gespräch mit seinem damals siebenjährigen Sohn am Badewannenrand brachte Mills auf die Idee zu seinem neuen Film „Come on, Come on“, der wie alle vorherigen in einem sehr intimen Familienumfeld angesiedelt ist. Nach dem Jugenddrama „Thumbsucker“ (2005) hat sich Mills in „Beginners“ (2010) mit dem späten Coming-out seines Vaters (Christopher Plummer erhielt als Nebendarsteller von Ewan McGregor und Mélanie Laurent dafür einen Oscar) auseinandergesetzt. 2016 thematisierte er in „Jahrhundertfrauen“ die Beziehung zu seiner Mutter (Annette Bening neben Greta Gerwig und Elle Fanning). Den Fünfjahresplan hält er durch: Nach Videoclips und Kurzfilmen, die er immer wieder zwischendurch realisiert, folgt nun mit „Come on, Come on“ ein Film über das Verhältnis zweier Geschwister, aber vor allem eines Onkels zu seinem Neffen.
Johnny, Mitte 50, und seine Schwester Viv haben vor einem Jahr die Mutter verloren. Das Ereignis hat sie voneinander entfremdet. Während Viv eher kühl auf den Tod ihrer Mutter, die sie immer zurückgewiesen hat, reagiert, leidet der Radiojournalist Johnny sehr unter dem Verlust. Auch ein Jahr später, als er zum Todestag seine Schwester anruft, fällt es ihm schwer, mit Viv darüber zu sprechen. Und auch dem kürzlichen Ende seiner großen Liebe kann sich der nun alleinlebende Johnny nur schwer stellen. Als er zwischen seinen Reisen, auf denen er Teenager zu ihrer Sicht der Welt, ihren Ängsten, Träumen und Wünschen interviewt, bei seiner Schwester vorbeischaut, muss er sich plötzlich um deren 9-jährigen Sohn Jesse kümmern, denn Vivs Mann Paul hat erneut einen psychischen Zusammenbruch. Weil sich die Probleme hinziehen, Johnny aber weitere Interviews in New York und New Orleans machen muss, reist das ungleiche Paar für einige Zeit durchs Land. So sehr sich Johnny aber beruflich mit Kindern beschäftigt und versucht, sie auf Augenhöhe anzusprechen – es hilft ihm nur bedingt bei der Bewältigung des Alltags mit einem Kind, das er kaum kennt. Vor allem mit einem solchen Kind! Jesse ist nicht nur wortgewandt, sondern auch durchsetzungsfähig. Das erfährt Johnny schon bald ganz konkret. Jesse weiß auch, wie wichtig Gefühle sind. Um ihrer Herr zu werden, hat er sich ein ganz eigenes Rollenspiel ausgedacht, bei dem er ein armes Waisenkind ist. Johnny soll mitspielen, ist davon aber sichtlich überfordert, trottet er im wirklichen Leben doch selber wie ein einsamer Wolf traurig durch die Welt. Der Film begleitet Johnny und Jesse – regelmäßig unterbrochen von Vivs Telefonanrufen – bei ihrer Reise durch die USA. Er begleitet sie aber vor allem auf ihrer turbulenten Reise zu sich selbst. Die ist ganz schön kompliziert, wie Jesse weiß. Denn man muss ja erst mal herausfinden, wie man sich findet. Und dabei hilft das „BlahBlahBlah“ der Erwachsenen nun wirklich kein bisschen. Doch Johnnys Aufnahmegerät wird ihre Verbindung. Über die Geräusche ihrer Umgebung „connecten“ sie, und schließlich nutzen sie den Recorder auch als Spiegelfläche für ihre tiefsten Gefühle.
Mike Mills erzählt in mal sonnendurchfluteten, mal tristen Schwarzweißbildern, und beobachtet seine beiden Protagonisten dabei, wie sie versuchen, in Kontakt zu kommen, eine Basis zu finden. Oder einfacher ausgedrückt: sich kennenzulernen, aber richtig!
Der Film funktioniert einerseits so gut, weil die beiden Hauptdarsteller Joaquin Phoenix (angenehm zurückhaltend nach seinem „Joker“) und der fantastischen Kinderdarsteller Woody Norman als Jesse so gut miteinander spielen (auch im wörtlichen Sinn), andererseits, weil Mike Mills die durch Jesse repräsentierte Perspektive junger Menschen mit den immer wieder eingestreuten (dokumentarischen?) Szenen und O-Tönen aus Johnnys Interviews mit Jugendlichen unterfüttert. Ein Perspektivwechsel, den in diesem Monat mit „Petite Maman“ und „Belfast“ gleich mehrere Filme auf ganz unterschiedliche Art vornehmen und der so unglaublich wichtig ist. Auch für die „Großen“ in dieser Welt.
(Christian Meyer-Pröpstl)
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