
Camille – verliebt nochmal!
Frankreich 2012, Laufzeit: 115 Min., FSK 12
Regie: Noémie Lvovsky
Darsteller: Noémie Lvovsky, Samir Guesmi, Judith Chemla, Yolande Moreau
>> www.camille-derfilm.de/
Zeitreise-Tragikomödie
Der Neuanfang vom Ende
„Camille – Verliebt nochmal!“ von Noémie Lvovsky
Camille (Noémie Lvovsky) ist vierzig und am Ende: Wenige Jobs, viel Alkohol, und ihr Traummann Éric (Samir Guesmi), mit dem sie seit Schulzeiten liiert ist und eine Tochter hat, verlässt sie für eine ungleich jüngere Frau. Angesichts dieses Resümees von 25 Ehejahren bleibt der Verlassenen nur der Griff zu Gram und Flasche. Es ist Silvester, der Countdown läuft, da geschieht das Unfassbare: Die volltrunkene Camille wird ohnmächtig und dabei um ein viertel Jahrhundert zurück in die Vergangenheit versetzt. Äußerlich ist sie unverändert, doch das scheint ihr Umfeld nicht zu stören, Camille wird behandelt wie ihr sechzehnjähriges Alter Ego. Von einem Tag auf den anderen lebt die schicksalsgeprüfte Frau wieder bei ihren Eltern, geht zur Schule und wird von dem jungen Éric umgarnt. Schon bald ist die Zeitreisende im Wesentlichen auf zwei Dinge konzentriert. Zum einen versucht sie, den Menschen, die sie im Laufe ihres Lebens verloren hat, und denen sie nun wieder begegnet, näherzukommen. Zum anderen überlegt sie, in Sachen Liebe die Zukunft zu verändern. Oder lieber nicht? Die Folgen sind so turbulent wie tragikomisch.
Natürlich erfindet „Camille – Verliebt nochmal!“ das Zeitreise-Genre nicht neu, und die Parallelen zu Francis Ford Coppolas „Peggy Sue hat geheiratet“ von 1986 sind offensichtlich. Dies gilt vor allem für die erste Zeit, die Camille in der Vergangenheit verbringt, und die zuvorderst komödiantisch ausgerichtet ist. Regisseurin und Hauptdarstellerin Noémie Lvovsky folgt amüsiert der verwirrt überforderten Heldin, wie sie über Autoritäten schmunzelt, von den Eltern dazu ermahnt wird, die Finger vom Alkohol zu lassen, wie sie ihrem Zukünftigen beim ersten Date mitteilt: „Ich liebe dich nicht mehr.“ Das ist charmant und funktioniert – auch als Gagzitat vergleichbarer Filmproduktionen, die ja inzwischen selbst Jahrzehnte zurückliegen.
Richtig sympathisch weil eigenständig wird Lvovskys Abenteuer dann, sobald sich der Film wegbewegt von der puren Komödie, wenn er der Situation ein Maß an tragischer Tiefe entlockt. Dass dieser Film keine reine Feel-Good-Komödie ist, ahnt man bereits zu Beginn, als die 40jährige Camille hysterisch, verzweifelt und traurig alkoholisiert zusehends die Kontrolle verliert. Nein, die Zeitreise ist hier nicht nur ein Spaß, sondern ebenso eine zweite Chance: die Chance, noch einmal die längst verstorbenen Eltern zu sehen, die Chance, die eine oder andere Verfehlung zu korrigieren, und die Möglichkeit, das Aufblitzen der ersten Liebe mit den Erfahrungen aus 25 Jahre Eheleben und -scheitern abzugleichen. Sprich: das Leben, das an einem lange Zeit vorbeigelaufen ist, noch einmal neu wertzuschätzen. Der Film verliert dabei nie seine Leichtigkeit, wird aber zunehmend reifer, wirkt erwachsener als die gelungenen Vorbilder aus Hollywood. Und zum guten Schluss weiß Lvovsky auch, dass man für ein optimistisches Ende kein verklärtes Happy End benötigt.
Cannes 2012: SACD Preis
(Hartmut Ernst)

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