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Claudia Kemfert
Foto: Oliver Betke

„Erneuerbare Energien sind Teamplayer“

27. September 2018

Ökonomin Claudia Kemfert über den Wandel der Energie-Infrastruktur

choices: Frau Kemfert, vor dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) waren am Energiemarkt eine Handvoll Konzerne unter sich. Inzwischen kann prinzipiell jeder Solarzellenpanelbesitzer Strom ins Netz einspeisen. Wie hat das den Markt verändert?
Claudia Kemfert: Vor allem hat er sich sehr stark dezentralisiert. Seit dem Beginn der Förderung der erneuerbaren Energien im Jahr 2000 ist deren Anteil an der gesamten Stromerzeugung auf über 30 Prozent angestiegen, im ersten Halbjahr des Jahres 2018 sogar auf über 40 Prozent. Etwa ein Drittel der Investoren in erneuerbare Energien sind dabei tatsächlich Privatpersonen, die etwa Solaranlagen auf ihrem Dach installiert haben. Weitere 10 Prozent gehen auf das Konto von Landwirten, die Biomassekraftwerke betreiben. Die großen vier Stromerzeuger steuern hingegen nur einen Anteil von 6 Prozent hinzu. Das zeigt, wie sehr der Markt inzwischen von kleinen, mittelständischen Erzeugern geprägt wird.

Wie können Bürger an der Energieversorgung teilnehmen?
Jeder Bürger kann bei der Energiewende mitmachen, es ist ja eine Bürgerenergiewende. Neben der Möglichkeit, direkt in erneuerbare Energien zu investieren oder Ökostrom zu beziehen, kann sich jede BürgerIn auch an sogenannten Energiegenossenschaften beteiligen, deren Anteil seit der Förderung ebenfalls sehr deutlich angestiegen ist, auch wenn dieser im Moment wieder stagniert. Wie auch bei anderen Genossenschaftsformen hat jeder die Möglichkeit, sich an diesem Modell zu beteiligen. Vor allem im ländlichen Bereich gibt es viele Zusammenschlüsse dieser Art, die oft aus den Kommunen erwachsen, aber auch in den Städten finden sie sich.

Hat diese Vergemeinschaftung der Energieversorgung auch Einfluss auf die demokratische Kultur?
Durchaus! Es gibt Kommunen, wo diese Beteiligungsmodelle zu seiner sehr starken Demokratisierung geführt haben, weil da es eine echte Partizipation gibt und sich Menschen mit der Energiewende identifizieren. So steigt die Akzeptanz. Aber selbst diejenigen Bürger, die sich starke Vorbehalte gegen erneuerbare Energien in der unmittelbaren Nachbarschaft haben – wie man es öfters bei Windenergieprojekten beobachten kann – sind Teil einer gelebten Demokratie. Die Energiewende kann somit die Demokratie stärken.

Vor welche Herausforderungen stellt diese Entwicklung die technische Infrastruktur?
Die Infrastruktur muss auf der Verteilnetzebene flexibler und dezentraler werden. Die intelligenten Verteilnetze, oder Smart Grids, sind für die Energiewende viel bedeutsamer als die großen Übertragungsnetze. Neue, Prosumer genannte, Akteure die Strom selbst produzieren und nutzen, aber teilweise auch ins Netz einspeisen, sowie dezentrale Speicher, wie Batterien – auch von Elektrofahrzeugen – können das Netz stabilisieren.  Für all dies benötigt man ein intelligentes Energiemanagement, welches mittels technischer Infrastruktur und Digitalisierung ermöglicht wird.

Auch der Bau großer Stromtrassen, etwa zwischen Nord- und Süddeutschland, wird diskutiert. Werden sie überhaupt noch benötigt?
Stromtrassen werden immer benötigt, wir haben in Deutschland das sicherste Stromnetz der Welt. Die Frage ist, ob wir tatsächlich so viele zusätzlich neue Stromnetze benötigen. Je früher wir den Anteil der Stromproduktion aus Kohlekraftwerke vermindern und die erneuerbaren Energien lastnah und auch im Süden zubauen, desto eher kann man auf den Bau riesiger Stromtrassen verzichten. Derzeit erhalten wir zwei Stromsysteme parallel, das auf konventionelle Energien und das auf erneuerbare Energien basierende. Viele Studien zeigen: Je dezentraler man die Energiewende gestaltet, desto weniger ist man auf neue und überdimensionierte Stromtrassen angewiesen.

Welchen Effekt hatten die Änderungen des EEG durch die Koalition in den vergangenen Jahren?
Mit den Änderungen am EEG hatte man in erster Linie eine Drosselung des Zubaus der erneuerbaren Energien im Blick. Deswegen hat man die ursprüngliche feste Einspeisevergütung aufgegeben und ist zu Ausschreibungen übergegangen – man schreibt jetzt die Menge des Zubaus aus und gibt dann den Zuschlag an das billigste Preisangebot. An diesem Vorgehen gibt es vor allem zwei Punkte, die kritikwürdig sind: Zum einen bringt die maximale Zubaumenge und somit Drosselung die Branche ohne Not in Schwierigkeiten und ist einer der Gründe dafür, dass die Klimaziele nicht erfüllt werden. Die Regierung hat sich im Koalitionsvertrag zwar auf Sonderausschreibungen geeinigt, um der Ausbaubremse entgegen zu wirken, umgesetzt wurden diese aber bis heute nicht. Zum anderen lässt diese einseitige Ausrichtung auf das billigste Angebot völlig außen vor, dass die Entwicklung zu einem dezentralen, netzoptimierten Zubau eine gewisse Flexibilität braucht. Der Zubau erneuerbarer Energien sollte systemdienlich und lastnah erfolgen. Erneuerbare Energien sind Teamplayer, wie brauchen mehr von allen. Bisherige Ausschreibungen berücksichtigen dies leider nicht.

Wie passt das zu den Klimazielen, die die Regierung sich gesteckt hat?
Das passt eben nicht zusammen. Die Klimaziele 2020, also eine Reduzierung der Emissionen um 40% im Vergleich zu 1990, wird man nicht erreichen, zudem sind die Minderungsziele bis 2030 auch in Gefahr, wenn nicht der Kohleausstieg schnell und eine nachhaltige Verkehrswende umgesetzt wird. Zudem verfehlt Deutschland die Ausbauziele erneuerbarer Energien, der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch sollte eigentlich bis 2020 auf 18 Prozent steigen. Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung konnte in Deutschland zwar erhöht werden, dafür ist dieser in anderen Bereichen wie Mobilität oder auch Gebäudeenergie weit hinter den Zielen zurück geblieben.

Laut einer Studie könnten die 2020-Ziele durchaus noch erreicht werden. Fehlt dazu der politische Wille?
Man hat sich von unnötigen Gespensterdebatten über angeblich zu hohe Kosten und fehlende Netze treiben lassen. Man hat geglaubt, mit der Drosselung des Zubaus erneuerbarer Energien auf die angeblich zu hohen Kosten der Energiewende antworten zu müssen. Andererseits baut man unnötige und vor allem teure Stromnetze, was die Kosten der Energiewende unnötig erhöht. Um die Klimaziele zu erreichen, müsste vor allem der Kohleausstieg rasch eingeleitet werden und die Verkehrswende weg von Diesel und Benzin hin zu Elektromobilität und klimaschonenden Antrieben umgesetzt werden. Hier fehlt in der Tat der politische Mut, um alten Zöpfe abzuschneiden. Stattdessen wird die Vergangenheit konserviert.

Wie wirkt sich das aus? Bleiben genügend kreative Freiräume, oder wirkt es bremsend?
Im Moment, muss man leider sagen, wirkt es eher bremsend. Es gibt sicher auch kreative Lösungen, etwa in dem man neue Marktmodelle entwickelt und innovative Technologien für mehr Klimaschutz erforscht werden. Deutschland ist das Land der Ingenieure, die Energiewende bietet enorme wirtschaftliche Chancen, die Wettbewerbsfähigkeit kann durch gezielte Investitionen in erneuerbare Energien und Energiesparen verbessert werden. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland wieder Vorreiter wird!


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