Auch Schauspieler müssen mal arbeiten. Zum Beispiel als Garderobier. Yuri Englert hängt beflissen, wenn auch etwas ungeübt, die Mäntel des Publikums auf. Melanie Kretschmann reißt die Eintrittskarten ab. Und Niklas Kohrt dreht die Zuckerwatte. Ob die Schauspieler deshalb ihre Müdigkeit so larmoyant bekunden, als sie dann die Bühne betreten. Man weiß es nicht. Sie wollen auch nur wenig: „Mutter, Sohn, Liebhaber und ein paar Gefühle.“ So schleppen sich Kretschmann, Englert und Kohrt in der Außenspielstätte am Offenbachplatz durch Jens Pörksens „Wir wollen Plankton sein“. Der dramatische Erstling lädt in eine durchreflektierte (Bühnen-)Welt, in der der Deutungszwang habituell geworden ist. Das Leben als Bühnenfigur folgt einer prescripted „reality“, in der jeder Habitus, jede Geste nicht nur bereits Kopie ist, sondern hermeneutisch ausbuchstabiert.
Erschlaffung und Ermüdung sind nicht nur die Konsequenz, sondern dienen auch als Strategien des Protests, diesem Zwang zu entkommen. Yuri Englert als lächerlicher Lover in Frack und Strumpfhosen vollführt ein paar verendende Ballettposen und gefällt sich als zuneigungssüchtiger Agent Provocateur der Empathie. Melanie Kretschmann, die auch Regie geführt hat, gibt die große Diva Bernadette, ausladend posierend und willensstark, die Niklas Kohrt als trotzig-verständigen Sohneman Micha inzestuös umgarnt. Nahezu alles an diesem Abend scheint aus zweiter Hand zu stammen, erzeugt einen Déjà-vu-Effekt: Das Glücksgeschwafel sowie die pathetisch-dröhnenden Vater-Rufe, die Therapiegeständnisse, die Klagen über ausbleibende oder falsche Gefühle (am Grab des Vaters z.B.). Das ist zum großen Teil brüllend komisch, manchmal auch etwas langweilig. Aus der eigenen Rolle gibt es eben kein Entkommen. Schließlich packen die drei Schauspieler ihre Sachen wieder zusammen und verladen alles in einen Wagen, vor den ein Fahrrad gespannt ist. Mutter Courage lässt grüßen. Nicht mal ein Abgang lässt sich noch „authentisch“ absolvieren.
„Wir wollen Plankton sein“ | R: Melanie Kretschmann | 7., 13., 15., 22.4. 20 Uhr | Schauspiel Köln | 022122 12 84 00
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