Mal ist es nur eine, es können aber auch acht Tonnen Reis sein, die die Performer von Stan’s Café verarbeiten. Ein Reiskorn pro Erdenbürger, so lautet die Grundgleichung ihrer Installation „Of all the People in all the World“. Damit bringt das Kollektiv die ganze Welt ins Verhältnis. Auf weißen Blättern werden Reishaufen aufgetürmt. Wie viele Kinder werden in Deutschland pro Jahr geboren? Wie viele Fluggäste hat Ryanair? Was bedeutet Armut in verschiedenen Ländern? Zwischen den Reishaufen wuseln geschäftig die in braune Kittel gekleideten Performer hin und her. Und da die Truppe in Mülheim gastiert und gerne auf die Verhältnisse vor Ort eingeht, dürfte ein Häuflein vermutlich auch den rund 40 Millionären der Stadt gewidmet sein.
Stan’s Café gastiert im Rahmen des Impulse Festivals, das zum letzten Mal unter der programmatischen Leitung von Florain Malzacher stattfindet. „Decide or Else“ (frei übersetzt: „Entscheide oder stirb!“) lautet das Motto, das den politischen Rahmen diesmal über den gesellschaftlichen und privaten Entscheidungsprozessen und der Frage aufspannt, wo dabei die Kunst ins Spiel kommt. Seit ein paar Jahren wandert das Festivalzentrum zwischen den Städten Mülheim, Düsseldorf und Köln hin und her. Das Ruhrgebiet ist diesmal mit Stan’s Café und einigen Veranstaltungen der Silent University Ruhr dabei, darunter einem Vortrag über „Politische Partizipation von Geflüchteten und Migrantinnen“ (27.6., Ringlockschuppen). In Düsseldorf stellt Alexandra Pirici ihre auf Beuys zurückverweisende performative Aktion „Delicate Instruments of Engagement“ (24., 25., 29.6.-1.7., Kunsthalle) vor. Der Schwerpunkt der Theaterveranstaltungen liegt diesmal in Köln.
Die junge Theatergruppe vorschlag:hammer kreist in ihren Produktionen immer wieder um das Problem des „Storytellling“. In dem preisgekrönten Stück „Vom Schlachten des gemästeten Lamms“ verarbeiteten sie zwei bäuerliche Lebensläufe zu einer wunderbaren Etüde über das Erzählen selbst. In Köln gastieren sie jetzt mit „Die Erfindung der Gertrud Stock“, das die Geschichte einer 84-jährigen Frau als Mischung zwischen Fakten und Fiktion ausbreitet (24.-26.6., TanzFaktur).
Die Spannung zwischen Stadt und Land durchzieht die Produktionen der Gruppe Rabtaldirndln seit ihrer Gründung. In ihrer Produktion „Du gingst fort“ fragen sie ganz konkret, was Verwandte, Freunde und Bekannte bewogen hat, die immer weiter ausblutende Provinz in Richtung Metropole zu verlassen (23., 24.6., Studiobühne). Die sicherlich umstrittenste Produktion dürfte Milo Raus Stück „Five Easy Pieces“ über den belgischen Kinderschänder Marc Doutroux sein. Gespielt wird es von Kindern zwischen 9 und 13 Jahren, die von einem Showmaster dazu gebracht werden, von dem Kinderschänder zu erzählen, Szenen nachzustellen oder von Misshandlungen zu berichten. In Frankfurt wurde eine Aufführung vom Regierungspräsidium Darmstadt verboten, andererseits erhielt Milo Rau im März für seine verstörende Arbeit den 3sat-Preis beim Berliner Theatertreffen (30.6., 1.7., Schauspiel Köln). Man darf gespannt sein, wie das katholische Köln reagiert.
Impulse Festival | 22.6.-1.7. | Köln, Düsseldorf, Mülheim a.d. Ruhr | festivalimpulse.de
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