Das Schönste an der Bühnenrolle ist, wenn man sie nicht wieder ablegen kann. Wenn die Versatzstücke der Repräsentanz mit dem Habitus untrennbar verwachsen sind. So geht es den drei Talkshowgästen in Sir Gabriel Dellmanns „Wohin des Weges – Volksvertreter?“. Zwei Regierungsoppositionsvertreterinnen und ein Wirtschaftsexperte weben unbeirrt ihr Netz aus Instant-Statement und antrainierten Verhaltensschleifen. Aufgeschäumte Empörung trifft sedierende Vernunft, gestanzte Expertenfloskeln reiben sich an hohlem Entsetzen. Selbst die Bewertung durch das Publikum nach jedem Themenblock kann das Trio davon nicht abbringen. Selbst Abstimmungsniederlagen durch den Souverän reichen längst nicht mehr, um den leibhaftigen Charaktermasken in die Parade zu fahren. Das schafft erst ein Trupp Aktivisten, die die Show entern. Björn Gabriel und Stefanie Dellmann nehmen in ihrem Showact Politik wie auch das Publikum in die Pflicht: Ein bisschen Mitspielen, ein bisschen Partizipation reicht weder auf dem Wahlzettel, noch im Theater, wenn es um die Grundtugenden der Demokratie wie auch der Kunst geht.
Und das gilt umso mehr für die Bedrohung durch den politisch-finanztechnischen Komplex. Joseph Vogl hat in seinem letzten Buch die „seigniorale Macht“ beschrieben, zu der sich Politik und Finanzwelt zusammengefunden und in Institutionen jenseits jeder parlamentarischen Kontrolle ein globales Souveränitätsregime installiert haben. Ein Akteur in diesem Komplex war lange Zeit die Investmentbank Lehman Brothers – bis ihre Pleite 2008 den Kollaps der Finanzmärkte mitauslöste. Der italienische Dramatiker Stefano Massini erzählt in seinem Stück „Lehman Brothers.“ vom Aufstieg und Fall dieser jüdischen Bankiersfamilie. 1844 betritt Heyum, später Henry Lehman aus Rimpar bei Würzburg erstmals amerikanischen Boden. Er arbeitet zunächst als Hausierer, bis er in die Textilbranche einsteigt. Zusammen mit seinen Brüdern Mendel und Mayer – das Firmenschild lautet schon damals „Lehman Brothers“ – kommt er allmählich zu Reichtum. Neben Textilien werden bald auch Kaffee, Kohle oder Erdöl gehandelt. Aus dem Handelsgeschäft erwächst schließlich der Entschluss, eine eigene Bank zu gründen, die 1880 auch aus der Taufe gehoben wird. Aus den Kaufleuten werden Banker, die mit allen und jedem spekulieren – bis schließlich in den nachfolgenden Generationen die Trader das Regime übernehmen. Massini blättert weniger eine chronique scandaleuse der Bank als eine epische Familiengeschichte auf. Keine ideologische Schlammschlacht der Finanzkrise, sondern ein Bilderbogen durch die Generationen einer Familie, der auch etwas von Integration, vom Festhalten an jüdischen Traditionen, von gesellschaftlichem Erfolg, vom Aufstieg erzählt. Stefan Bachmann hat das Stück bereits im Juni vergangenen Jahres in Dresden herausgebracht und stellt seine Inszenierung nun auch in Köln vor.
„Wohin des Weges – Volksvertreter?“ I R: Sir Gabriel Dellmann I 26.2.-1.3. 20 Uhr I Studiobühne Köln I 0221 470 45 13
„Lehman Brothers.“ I R:Stefan Bachmann I 18.3.(P) I Schauspiel Köln I 0221 22 12 84 00
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