Gekleidet sind die Landarbeiter auf Inviolata, dem Landgut der Marquesa Alfonsina de Luna, wie aus dem vorletzten Jahrhundert, und auch ihre ärmliche Behausung, wo Männer, Frauen und Kinder ohne jeden Komfort zusammengepfercht leben, ist kaum datierbar. Aber es gibt einen Laster und ein Mofa. Der schüchterne Lazzaro ist in dieser Gemeinschaft ein Außenseiter. So gutmütig und naiv, dass die anderen ihn für dumm halten und meist ausnutzen. Lazzaro macht das nichts aus und verrichtet tagein tagaus seine Arbeit. Eines Tages kommt Tancredi, der Sohn der Marquesa, auf das Anwesen. Der kommt aus der Stadt, ist modisch und modern und kennt die Welt. Und er will gegen seine Mutter rebellieren. Lazzaro ist fasziniert von dem weltgewandten Tancredi, und Tancredi ist fasziniert von Lazzaros schlichter Gutmütigkeit. Vor vier Jahren ließ die italienische Regisseurin Alice Rohrwacher mit ihrem Film „Land der Wunder“ aufhorchen. Schon hier prallten ganz unterschiedliche Welten auf eine irritierend märchenhafte Weise aufeinander. Mit „Glücklich wie Lazzaro“ (Odeon, OmU in der Filmpalette) geht Rohrwacher einen Schritt weiter und verlässt immer mehr den realistischen Boden, auf dem ihr Film am Anfang steht. Die Wechsel zwischen einem beinahe dokumentarischen Tonfall, zwischen Komödie und Tragödie, zwischen Märchen und Legende vollziehen sich ganz geschmeidig und kaum wahrnehmbar. Ihr Drama ist ein Rückgriff auf wesentliche Merkmale der Filme des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini, erklärtes Vorbild von Rohrwacher: Sogar die Orte in erinnern an Pasolinis Filme: die kargen Landschaften und auch die Peripherie der Städte. Mttendrin: Lazzaro, der nie an sich denkt und nie an seinen Vorteil. Rohrwacher erinnert mit ihrem Film an die Möglichkeit des Guten und entwirft eine Utopie.
Nein, die Oper ist noch immer nicht völlig verblödet – dafür gibt es ja inzwischen Musicals. 1928 indes will Berthold Brecht mit seiner „Dreigroschenoper“ der drohenden Verblödung der Oper entgegenwirken. Und er arbeitet einer Verfilmung entgegen, die jedoch scheitert an der Feigheit des Produzenten, an der Zensur, am Faschismus und an der Justiz. Joachim Lang erzählt in „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ (Cinenova, Lichtspiele Kalk, Odeon, Residenz, Weisshaus) von dem Weg zur Nichtverfilmung und vermengt dafür Brechts historischen Kampf für die Kunst mit Szenen einer möglichen Adaption in Brechts Sinne. Aus heutiger Sicht gestalten sich Letztere eher angepasst als provokant. Doch bildet dieses Drama insgesamt ein hochaktuelles und spiel- und inszenierfreudiges Leinwandspektakel über Brechts Seele, seinen Blick auf die Welt und auf die Kunst.
Rike (grandios: Susanne Wolff!) ist alleine mit ihrem Einmaster vor der afrikanischen Küste unterwegs, als sie auf ein sinkendes Boot voller Flüchtlinge trifft und in Gewissenskonflikte gerät. Wolfgang Fischers („Was du nicht siehst“) neuer Film ist geradezu am Puls der Zeit entstanden. Bei seinem Flüchtlingsdrama geht es nicht um Statistiken und namenlose Massen, bei „Styx“ (Filmpalette, Odeon) wird das Problem auf engstem und privatestem Raum angesiedelt und somit auf die menschlichste Ebene heruntergebrochen. In fast schon dokumentarischen Bildern werden zunächst die Segelroutinen an Bord geschildert, wodurch das Geschehen danach auch überaus authentisch wirkt. Ein Film, der verstört und erschüttert und dennoch auch einen kleinen Funken Hoffnung sät.
Außerdem neu in den Kinos: Debra Graniks überzeugendes Außenseiterdrama „Leave No Trace“ (Cinedom, Cineplex, UCI), Nanouk Leopolds bewegende Jugendstudie „Cobain“ (Filmpalette), Volker Koepps Doku „Seestück“ (Filmpalette) und Bill Holdermans bemühte Ü60-Komödie „Book Club - Das Beste kommt noch“ (Cinedom, Cineplex, Residenz, Rex am Ring, UCI, OmU im Metropolis). Dazu starten Peter Bergs brachialer, aber spannungsloser Actioner „Mile 22“ (Cinedom, Cineplex, Rex am Ring, UCI), Shane Blacks mit bösen bösen Aliens garnierter Kleinstadt-Krawall „Predator: Upgrade“ (Cinedom, Cineplex, UCI), Josh und Jonathan Bakers ähnlich gelasgertes Sci-Fi-Abenteuer „Kin“ und, als Kontrastprogramm für die Kleinen, Ali Samadi Ahadis „Pettersson und Findus: Findus zieht um“ (Cinedom, Cinenova, Cineplex, Metropolis, Rex am Ring, Weisshaus, UCI).
Mensch und Natur
Die Filmstarts der Woche
„Ein guter Song funktioniert in jedem Genre“
Der Lohmarer Songwriter Tobias Röger über musikalische Dienstleistung mit Seele – Interview 02/19
„Ein Mechanismus, der besser ist als der Markt“
Medienwissenschaftler Stefan Heidenreich über das Verschwinden des Geldes als Zahlungsmittel
Virtuell verwirrt
„Die mit den Augen atmen“ in der Tanzfaktur – Bühne 02/19
WG auf der Bühne
„Auerhaus“ im Theater der Keller – Bühne 02/19
Der Genuss der Stille
„Schreibraum“ für literarische Produktion in Köln – Kulturporträt 02/19
Seelenschau als Varieté
„Kafka“ am Freien Werkstatt Theater – Theater am Rhein 02/19
Der besorgte Bürger
Zwischen Empathie und Touchpad: Kindertheater „Frau Meier, die Amsel“ im Casamax – Bühne 02/19
Das versoffene Dasein
„Eines langen Tages Reise in die Nacht“ in Bonn – Theater am Rhein 02/19
Was wird aus dem Cinenova?
Will eine Immobilienfirma Ehrenfelds Filmkunstkino in die Knie zwingen? – Kino 02/19
Klagen über Klagen
Futur3 mit „Eine Stadt klagt sich an“ im Pfarrsaal von St. Michael – Bühne 02/19
Wir schaffen das – weiterhin
Noch immer zieht es viele Flüchtlinge direkt nach Köln – Nachgefragt 02/19
Schlag auf Schlag
Repercussion spielen im Kunstpalast in Düsseldorf
Kreatives Genre-Battle
Jazz-Klassik-Konzert „Original oder Fälschung“ im Kunstpalast in Düsseldorf
Mütter und Mothers
Junge Mütter, männliche Mütter und Großmütter – Unterhaltungsmusik 02/19
„Menschsein muss man sich leisten können“
Sascha Hawemann inszeniert „Liliom“ am Theater Bonn – Premiere 02/19
Neue Perspektiven
Ausbau der Tanzfaktur wirft Fragen auf – Tanz am Rhein 02/19
Känguru, Chaos und Schnapspralinen
„Die Känguru-Chroniken“ in der Comedia – Komikzentrum 02/19
Gefangen im Kaninchenstall
Urbane Machtverhältnisse in Vandekeybus‘ Tanzstück „TrapTown“ – Tanz am Rhein 02/19
Interventionen im öffentlichen Raum
Eine Veranstaltungsreihe erinnert an Heinrich Pachl – Kino 02/19
Großes Thema, wenig Substanz
Diskussionsabend „Demokratie – Ein Elitenprojekt?“ an der Volksbühne – Spezial 02/19
Willkommen im Club
Weltpremiere „Club der roten Bänder“ im Cinedom – Foyer 02/19
Ganz schön dramatisch
„Miss Saigon“ im Musical Dome – Musical in NRW 02/19
Eine zusammengeflickte Familie
„Komplexe Väter“ im Theater am Dom – Bühne 02/19
Mehr als Fakten
Beim Stranger than Fiction-Dokumentarfilmfest – Festival 02/19