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Alexander Kleider (l.) und Eckes Malz vor Filmpalette
Foto: Catharina Chlupaty

Demokratie leben

12. Mai 2017

„Berlin Rebel Highschool“ in der Filmpalette – Foyer 05/17

Mittwoch, 10. Mai: Nach der Preview der Dokumentation „Berlin Rebel High School“ standen Regisseur Alexander Kleider und Musiker Eckes Malz, der den Soundtrack gemacht hat, zum Gespräch zur Verfügung und Filmpalette-Geschäftsführer Dirk Steinkühler übernahm fachmännisch die Moderation. Der Saal war voll, die Fragen zahlreich, denn das portraitierte Schulsystem der SFE Berlin bildet mit seinem basisdemokratischen Konzept einen immensen Kontrast zum hierarchischen Schulsystem, das die meisten gewohnt sind. Die Schüler stimmen bei Entscheidungen in Volksversammlungen ab, es gibt keine Noten, kein Sitzenbleiben, keine Anwesenheitspflicht – und es funktioniert! Seit gut 40 Jahren holen Schulgeschädigte und -nachzügler aller Altersklassen an der SFE mit einer Erfolgsquote von 70% bis 80% ihr Abitur nach.


„Berlin Rebel High School“, Bild: © Neue Visionen Filmverleih

Auch Regisseur Kleider war Schüler an der SFE und hat dort, nach seinem Schulabgang in der 10ten und einer Ausbildung als Erzieher, das Abitur nachgeholt. Die Drehgenehmigung für den Film erteilte ihm die Schülerschaft. Drei Jahre begleitete er den Schulalltag an der SFE. „Das war sehr riskant. Die Schüler hätten jederzeit ihre Meinung ändern und gegen den Film abstimmen können, dann wäre es das gewesen“, sagt er. Teilweise habe er Bedenken gehabt, dass seine gewählten Protagonisten einfach nicht mehr auftauchen würden – unbegründete Bedenken, obwohl tatsächlich 30% bis 40% der Schüler selbst die SFE abbrechen. Er führt seine eigene Skepsis auf das staatliche Schulsystem zurück, das ihn vor dem Wechsel zur SFE jahrelang geprägt habe: Wo man nicht lerne sich zu vertrauen, sondern zu konkurrieren. Wo man das Fürchten vor dem lerne, was man nicht kontrollieren könne. Im Gegensatz zum staatlichen Schulsystem, sei er von dem Konzept der SFE überzeugt: „Demokratie muss auch an der Schule gelebt werden.“ Denn nur so würden die Schüler lernen, dass Ihre Stimme zählt, dass Verantwortung tragen auch heißt, mitgestalten zu können.

Im Publikum bildet sich schnell ein Konsens darüber, dass das aktuelle Schulsystem reformiert werden muss, denn seit dem Kaiserreich hat sich nicht wirklich viel verändert. Eher verschlechtert: Die Einführung von G8 hat den Begriff „Schüler-Burn-Out“ geprägt. Sicherlich, das Konzept der SFE ist kein Allheilmittel. „Junge Schüler brauchen schon Orientierung“, räumt der Regisseur auf die Publikumsfrage hin ein, ob ein basisdemokratisches System denn auch für Kinder geeignet wäre.


Lena büffelt mit Lehrer Klaus im Grünen, Bild: © Neue Visionen Filmverleih

Viel kritischer als das mangelhafte Mitspracherecht der Schüler sieht Alexander Kleider die Stellung des Lehrers in der staatlichen Schulhierarchie. Der Lehrer solle ein wohlwollender Mentor, nicht der Richter über den weiteren Werdegang sein. Um dies zu gewährleisten, gehörten Lehre und Prüfung voneinander getrennt: „Man kann sich erst öffnen und lernen, wenn man sich auch wohl fühlt“, gibt er zu bedenken. Ein weiterer Vorteil der Trennung von Lehre und Prüfung wäre Chancengleichheit. Schüler wären nicht mehr von der Sympathie des Lehrers abhängig und, wenn zu viele Schüler durchfallen, müsste der Lehrer sich vor einem unabhängigen Prüfungsausschuss verantworten. Aber auch für die Lehrenden wären die Konsequenzen positiv. Sie wären vom negativen Rollenbild entlasten, und statt in zeitintensiven Benotungssystemen, könnten sie mehr in Vorbereitung des Lerninhalts investieren.

Den Diskurs darüber, ob man Lehre und Prüfung voneinander trennen sollte, hat Kleider bereits an schulische Institutionen herangetragen. Wichtig sei ihm aber vor allem, den Diskurs auch bei den Betroffenen anzuregen und eine bereits bestehende Alternative aufzuzeigen. „Hätte ich gewusst, dass es so etwas wie die SFE gibt, hätte ich mein Abi damals vielleicht auch nachgeholt“, hört man es beim Verlassen des Kinosaals raunen, unter anderem von Eckes Malz. Er hat schon für zwei der ersten Dokumentarfilme von Kleider, „Im Schatten des Tafelberges“ und „My Home is My Castle“, Musik komponiert. „Eigentlich bin ich ja Pianist, aber für diesen Dokumentarfilm habe ich mich mit völlig neuen Instrumenten auseinandergesetzt.“ Der energetische und urbane Soundtrack zum Film ist auch bereits als CD zu erhalten.

Catharina Chlupaty

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