Wahlen sind noch nie in der Wahlkabine entschieden worden. Entscheidend war und ist, wie dem souveränen Volk vorher die „richtige“ Wahl nahegebracht wird. Wichtiger als Parteiprogramme, die höchst selten gelesen werden, sind allemal griffige Slogans, gefühlige Appelle und sympathische Gesichter. In der aktuellen Saison mangelt es irgendwie an allem. Ein medialer Zickenkrieg zwischen Mutti Merkel (CDU) und Kümmerin Kraft (NRW) wäre es doch gewesen, aber das ist dank Peer & Spießgesellen auf 2017 vertagt. Dafür sind die gesammelten Parteiensprüche schon heute von gestern. Egal, ob die CDU „ganz schön aufgeweckt“ für ein „Gemeinsam erfolgreich für Deutschland“ eintritt. Oder die SPD den plagiierten Slogan „Das Wir entscheidet“ verbreitet, die FDP ein exklusives „Bürgerprogramm“ („Nur mit uns“ – alles andere ist Nazi) verkündet, die Linke„100 % sozial“ einen barrierefreien Umbau der Gesellschaft verspricht, oder ob die Grünen ihren Appell„Zeit für den grünen Wandel“ mit einem realsatirischen Abwählkalender kombinieren: Der Funke will nicht so recht überspringen. Nun ist es nicht so, dass alle Wahlberechtigten politisch desinteressiert sind; aber wenn nur Schlaftabletten im Angebot sind?
Die Stellvertretervertreter
Wenn sich der idealtypische Politiker dieser Tage öffentlich bemerkbar machen will, appelliert er gerne an sich und alle anderen. Er ruft energisch Sätze wie: Es muss etwas geschehen! Oder: Dazu gibt es keine Alternative! Oder: Wir schaffen Transparenz! Er simuliert hektische Betriebsamkeit, damit alles so bleibt, wie es ist. Es gibt kaum ein Politikfeld, in dem in den letzten Jahren nicht von einer „Jahrhundertreform“ die Rede war. Doch ist das Steuersystem gerechter geworden? Das Bildungssystem besser? Wird das Gesundheitswesen weniger von der Pharmaindustrie kontrolliert? Klimapolitik wird inzwischen wieder „pro Atom“ betrieben. Sogar die Staatsverschuldung wurde hierzulande nicht gebremst, gespart wurde im Sozialen, nicht bei den Banken.
Wenn sich Entscheidungen nicht vermeiden lassen, fallen sie zunehmend abseits der Öffentlichkeit und immer häufiger mit Hilfe von sogenannten Beratern. Lobbyisten feiern nicht mehr nur den Geburtstag der Kanzlerin mit, sondern kontrollieren wichtige Teile des Staatsapparates wie etwa die Bankenaufsicht. Sie formulieren Gesetze selbst. Oder legen Bund, Ländern und Gemeinden „Reformen“ nach einschlägigen neoliberalen Prinzipien nahe. Derlei Machenschaften werden nur selten aufgedeckt wie etwa der Plan der EU-Kommission, klammheimlich die öffentliche Wasserversorgung zu privatisieren. Ans Licht gebracht wurde das erst von NGOs und kritischen Journalisten. Überall in Europa regt sich inzwischen der Unmut vor allem bei Jüngeren. In Spanien skandieren Demonstranten „Ihr vertretet uns nicht“ in Richtung der Parlamentarier. In Griechenland sehen sich die Jungen als „Verlierer der Krise“, auch weil niemand ihre Proteste ernstnimmt. In England haben schon vor zwei Jahren Gleichaltrige aus den ärmsten Vierteln der Städte auf ihre Weise für Aufmerksamkeit gesorgt: Sie versorgten sich mit Gütern des gehobenen Bedarfs per Plünderung.
Die Daten, Dummkopf
Wenn denn die Wähler so misstrauisch sind, muss sich die Politik auf andere Weise um sie sorgen. In diesen Tagen ist viel von der NSA undihrem britischen ZwillingGCHQ,Prism, Tempora und Spionage-Software wie XKeystore die Rede. Big Brother Inc. hat Zugriff auf alle Daten im Netz, wenn’s sein muss, in Echtzeit. BarackObama steht als US-Präsident wie als Wahlkämpfer für diese Vision. Seit seiner ersten Wahlkampagne im Jahr 2008 verfügte sein Team über eine Fülle von persönlichen Wählerdaten, allerdings nur auf lokaler Ebene. Sie wurden 2011 zusammengeführt, sortiert und mit weiteren Infos ergänzt, die man bei einschlägigen Datenhändlern zusammenkaufte. Für die Analyse und Ausrichtung der Daten auf die Wahl 2012 engagierte man dann qualifiziertes Fachpersonal. Der „chief scientist” etwa hatte zuvor Marketingstrategien für Supermärkte entwickelt. Der Erfolg war so im wahrsten Sinne des Wortes vor-programmiert. Besonders ergiebig waren, wenig überraschend, die Daten bei Facebook. Hier versorgte eine eigene App die Wahlkämpfer mit Hinweisen etwa zu Wohnort oder sexueller Orientierung.
Statt langfristige und nachvollziehbare Politikziele zu formulieren und dafür auch Konflikte auszutragen, herrscht einvernehmlicher Stillstand. Und was die Legitimität der anstehenden Wahl betrifft: Erinnern Sie sich noch an Begriffe wie „negative Stimmgewichtung“ oder „Reststimmenverwertung“? Das Bundesverfassungsgericht hat anlässlich der letzten Bundestagswahl das Bundeswahlgesetz wegen der eindeutigen Privilegierung der großen Parteien für verfassungswidrig erklärt (nicht die Wahl selbst). Ob die von diesen Parteien nur mühsam beschlossene Neuregelung verfassungskonform ist, ist umstritten.
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