Der vielleicht beste Reisepass der Welt sei der deutsche, heißt es. Sind Deutsche also so gut wie überall gerne gesehen? Klischees halten sich: über nörgelnde deutsche Touristen, denen die Ferne zu wenig heimatlich ist, über den mangelnden Humor der Deutschen oder ihren Bürokratieeifer. Bedeutender ist, dass seit der Kriegstreiberei und den Verbrechen des Deutschen Reichs und der Nationalsozialisten, dass seit dem Holocaust gerade einmal ein (langes) Menschenleben vergangen ist; auch dieser Teil der Geschichte prägt die Wahrnehmung. Dennoch: Deutsche genießen eine erstaunliche Reisefreiheit, ob mit oder ohne Visa. Selbstverständlich spielt die hiesige überdurchschnittliche Kaufkraft eine Rolle – warum sollten andere Länder sich zahlungskräftige Touristen entgehen lassen? Wesentlich dazu beigetragen haben aber weithin bekannte Entwicklungen, vom Wiederaufbau Europas und Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg unter Führung der USA über eine Jahrzehnte währende öffentliche Erinnerungsarbeit bis zur vorsichtigen Einbindung Deutschlands in die Staatengemeinschaft. So ist die Bundesrepublik heute ein Staat wie die meisten, den alten Größenwahn unterstellt ihr niemand mehr ernsthaft. Sind die Lehren also gezogen?
Im Monatsthema „Deutschland ohne Größenwahn" gehen wir dem nach. Unsere Leitartikel werfen einen Blick zurück auf die Nachkriegszeit, um den gegenwärtigen Rechtsruck zu verstehen, wägen ab, welche Rollen die Generationen im Konflikt die Erderwärmung spielen und meditieren über das Verhältnis von Sprache und Frieden.
In Interviews wägt der Historiker Jürgen Zimmerer ab, wie sich Kolonialismus und Holocaust zueinander verhalten, der Kultursoziologe Clemens Albrecht beleuchtet das Verhältnis zwischen Deutschlands Generationen und die Sozialpsychologin Beate Küpper erklärt, wer vor allem von Hass und Gewalt in der Gesellschaft betroffen ist.
In Köln erfahren wir, wie sich die Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft gegen Krieg engagiert, in Essen, wie die Ortsgruppe von Fridays for Future auf den ungenügenden Klimaschutz reagiert und in Wuppertal, wie das Kreativnetz Utopiastadt Menschen aller Herkünfte zusammenbringen will.
Bei Erscheinen dieses Heftes ist die Bundestagswahl gelaufen. Es ist absehbar, dass keine Koalition für einen Klimaschutz stehen wird, der die Ziele des Klimaschutzgesetzes erreichen könnte – das folgt aus einer von der Stiftung Klimaneutralität beauftragten Analyse der Wahlprogramme der führenden Parteien. So verweigern die Parteien programmatisch seriöse Klimaschutzmaßnahmen, der eigentlich unverzichtbare Streit darum wurde im Wahlkampf zudem auffällig gemieden. Solche Nachlässigkeit trägt dazu bei, die Erderwärmung und den gesellschaftlichen Konflikt darum eskalieren zu lassen. Verantwortungsvoll ist das nicht. Ein Ringen um Frieden sähe anders aus.
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