Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.560 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

„Unterleuten“
Foto: Thilo Beu

Charge mit Zottelbart

21. Dezember 2017

„Unterleuten“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 01/18

Ohne zottelige Zweitperücke geht nichts an diesem Abend. Rein in die Identität, raus aus der Identität. Zwei bis drei Rollen hat jeder Darsteller in Jan Neumanns Dramatisierung von Juli Zehs Roman „Unterleuten“ zu bewältigen. Und genauso sehen die Figuren im Bonner Theater dann auch aus. Lieblos hingekaspert, am Rande der Lächerlichkeit, ohne psychologische Substanz. „Unterleuten“ verhandelt das Hauen und Stechen in einem ostdeutschen Dorf, zwanzig Jahre nach der Wende. Nicht nur hat sich mit Konrad Meiler ein Wessi groß eingekauft, die alten Rivalitäten zwischen dem Ex-Parteikader Kron und dem früheren LPG-Chef Gombowski sind nicht vernarbt und kochen schnell wieder hoch; dazu kommen Großstadt-Ökos oder die Pferdeflüsterin Linda Franzen. Dramatisch wird es, als ein Windpark für den jeweiligen Grundbesitzer hohe Renditen verspricht.

Regisseur Jan Neumann verzichtet auf einen Erzähler und lässt die Figuren in direkter wie indirekter Rede sprechen – die ironische Selbstdistanz ist gewollter Effekt. Kron (Bernd Braun) kommt als verkniffener Haudegen des Sozialismus daher, sein Widersacher Gombrowski (TV-Star Max Moor) als sonorer Ex-Großgrundbesitzer und vermeintlicher LPG-Wohltäter. Um beide herum schwadroniert der Rest des achtköpfigen Ensembles als kalauernde Chargen. Das wird fatal unterstützt durch Dorothee Curios Bühnenbild: ein schäbiger Kneipenraum im Anna-Viebrock-Stil mit zwei kleinen Bühnen an den Stirnseiten, die kaum bespielt werden und wie Restbestände einer nicht aufgegangenen Konzeption wirken. Juli Zehs Roman mag ironische Züge haben, Jan Neumanns klischeehafter Zugriff nimmt den Figuren wie dem Konflikt jede Dringlichkeit. Das Gerangel um Baugrundstücke, der ökologische Schein-Idealismus, der mal kaschierte, mal unverstellte Eigennutz, die wütende Begleichung alter Rechnungen, die absurden Selbststilisierungen, der Stadt-Land-Gegensatz – all das sinkt zu lächerlichen Ost-West-Scharaden herab, die nur noch als Billigfutter fürs bürgerliche Zwerchfell dienen. Ein vertaner Abend.

„Unterleuten“ | R: Jan Neumann | 30.12., 6.1., 18.1. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 22

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Arthur der Große

Lesen Sie dazu auch:

Wohin die Assoziationen führen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn

Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24

Mörderische Gesellschaftsstruktur
Georg Büchners „Woyzeck“ am Bonner Schauspiel – Auftritt 01/24

Der unfassbare Gott
Oper Bonn zeigt Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ – Oper in NRW 12/23

„Ein interdisziplinäres großes Theaterhaus für die Stadt“
Die Dramaturgin Stawrula Panagiotaki übernimmt die Leitung der Studiobühne – Premiere 11/23

Nicht gerade familientauglich
„Frankenstein Junior“ an der Oper Bonn – Musical in NRW 10/23

Fluch der tragischen Rache
„Rigoletto“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 10/23

Doktrin des American Dreams
„Von Mäusen und Menschen“ am Theater Bonn – Prolog 08/23

Kampf durch Klang
„Der singende Teufel“ ungekürzt an der Oper Bonn – Oper in NRW 05/23

Zäh fließt er dahin, der Rhein
Theater Bonn: „blut wie fluss“ – Theater am Rhein 04/23

Die Reste unserer Existenz
„blut wie fluss“ am Theater Bonn – Prolog 03/23

Im Labor der Altbauwohnung
„Der Haken“ am Theater Bonn – Prolog 01/23

Theater am Rhein.

Hier erscheint die Aufforderung!